Eine Frau für Caracas
Begrüßungstrunk!«
»Dagegen habe ich auch nichts einzuwenden«, sagte der Brandnervater schlicht. Sie schlenderten miteinander durchs Dorf. Hier und da begrüßte Christines Vater einen Nachbarn, lauter Glasmacher wie er selber, denen die unfreiwillige Arbeitsruhe Gelegenheit bot, den Garten zu bestellen, den Zaun zu flicken oder eine Reparatur am Haus vorzunehmen.
»Sie leben in Südamerika, Herr Gisevius? Wo, wenn man fragen darf?«
»In Venezuela — in der Hauptstadt des Landes, sie heißt Caracas.«
»Venezuela...«, murmelte Christines Vater und schmeckte das Wort auf der Zunge ab wie ein seltenes Gewürz; »das war auch einmal mein Traum, in die Welt hinauszukommen. Und dann ist man doch hängengeblieben. Aber ich denke mir jetzt manchmal, allzuviel habe ich nicht versäumt. Was meinen Sie?«
»Gewiß nicht, Herr Brandner !«
»Jetzt sind es die Buben, die hinaus wollen. Der älteste ist seit einem Jahr in Schweden. Er verdient dort gut und schreibt, daß er eine Menge dazugelernt hat. Aber es zieht ihn doch heim. Und der jüngere möchte nach Nordamerika gehen. Ich halte ihn nicht fest. Schaden kann es nie, wenn man sich einmal fremden Wind um die Nase wehen läßt. Ich meine, draußen lernt man erst schätzen, was man daheim hat. Was sagen Sie dazu?«
»Ich bin genau Ihrer Meinung.«
Sie traten beim Riedinger ein. Im Hausflur roch es nach Bier und nach Gewürzen, denn links lag die Schankstube und rechts die Krämerei. Das Gastzimmer war leer, ein dunkler Raum mit einer rauchgeschwärzten Holzdecke und ringsum mit rötlichem Lärchenholz getäfelt. Die gescheuerten Lindentische waren die einzigen hellen Inseln darin. Auf der ringsum laufenden Bordleiste standen ein rundes Dutzend bunt bemalter Ehrenscheiben des Lambacher Kugelstutzen-Vereins.
»Heda, Riedinger !« rief der Brandner in den Flur hinein.
»So wird’s dir net pressieren, Brandnervater !« ertönte eine Stimme aus der Tiefe, und der Riedinger steckte seinen Kopf aus einer Falltür, die mitten im Flur in den Keller führte. Er wurde munterer, als er den noblen Gast sah, den der Brandnervater mitgebracht hatte. Aber als er Werners Frage nach einer Übernachtungsmöglichkeit hörte, kratzte er sich den Kopf und meinte, auf Stadtgäste sei er durchaus nicht eingerichtet. Aber er ging doch voran und zeigte Werner das einzige Zimmer, das er für gelegentliche Gäste bereit hielt. Es war ein kleiner Raum, das Fenster stand offen, und in den Rahmen spannten sich wie ein Bild der helle Frühlingshimmel und die grüne Berglandschaft. Die Möbel waren einfach, schlichtgefügtes Naturholz ohne falschen Mahagoniglanz; ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett mit blauweiß gewürfeltem Bezug, und an der Tür ein Kleiderhaken, der den Schrank ersetzte. Werner zögerte auch nicht eine Sekunde, das Zimmer zu nehmen. Das Oberbett, zentnerschwer und tatsächlich mit Hühnerfedern gefüllt, konnte durch eine Wolldecke ersetzt werden.
In der Gaststube kam der Riedinger zu ihnen an den Tisch, ein weitgereister Mann, der bis nach Stuttgart und Biberach gekommen war und seine Erlebnisse in fernen Ländern auf eine drastische Art zum besten zu geben verstand. Nach der ersten Halben bestellte Werner eine Brotzeit für drei Mann, wacholdergeräucherten Bauernspeck und selbstgebackenes Brot, und dann tranken sie noch zwei Halbe, und der Riedinger ließ sich nicht lumpen und spendierte einen Zwetschgenschnaps dazu. Um acht ging der Brandnervater mit einer ganz leichten Schlagseite heim, und der Riedinger schickte einen von seinen Buben mit, um Werners Koffer holen zu lassen. Dann tranken sie noch ein Bier und noch einen Schnaps, und um neun ging Werner auf sein Zimmer hinauf und legte sich zu Bett. Der Mond, fast schon voll, stand hell über dem Wald und die Sterne glitzerten am Himmel. Es war so kühl, daß Werner um das dicke Federbett froh war, er schlief ein, kaum daß er sich niedergelegt hatte, und er schlief bis in den Vormittag des nächsten Tages hinein.
»Ihnen scheint’s zu Engling aber schon mächtig gut zu gefallen, Herr Gisevius!« meinte der Riedinger Schorsch mit einem leichten Kopfschütteln, als Werner am Dienstag nach Ostern seine lächerlich geringe Wochenrechnung beglich und sich das Zimmer für die nächste Woche reservieren ließ.
»Unsereiner denkt, Herrgottseiten, jetza zu München im Franziskaner bei die Weißwürscht sitzen! Und Ihnen g’fallt’s zu Engling ! So ist das Leben. Da kannst halt nix machen!« — Und er strich das Geld mit
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