Eine Frau für Caracas
in dem er sich über manches klar geworden war und einige Entschlüsse gefaßt hatte, die seine Zukunft betrafen. Christine war zu einem Einödhof unterwegs, der noch zur Englinger Gemarkung gehörte, aber schon fast neben der Staatsgrenze lag. Die Bäuerin des Einödhofes war Christines Firmpatin.
Sie begegneten einander auf der Grasnarbe des kaum noch befahrenen Grenzweges; er lief gekrümmt zwischen dichtem Haselgesträuch dahin und sie sahen einander erst, als Christine aus der Wegbiegung heraustrat. Es sah ganz danach aus, als hätte Christine in dem Moment, als sie Werner erblickte, die Absicht, umzukehren und davonzulaufen. Zwanzig Schritt voneinander entfernt blieben sie beide stehen, bis Werner langsam, als könne jede rasche Bewegung Christine verscheuchen, vorausging und sich Christine näherte.
»Na, Christine«, sagte er etwas belegt, »Sie lassen mich ja schön im Stich. Und ich habe gedacht, Sie würden mir Ihre Heimat ein bißchen vorführen und im Hochglanz zeigen.«
»Wir sind hier nicht in der Stadt, Herr Gisevius...«
»Gott sei Dank, daß wir nicht in der Stadt sind! Trotzdem verstehe ich Sie nicht ganz, Christine...«
»Wir sind hier auf dem Dorf«, sagte Christine mit gesenktem Kopf und trat mit der Fußspitze einen kleinen Stein in den Sand ein, »die Leute würden sich wer weiß was denken, wenn ich mit Ihnen durch den Wald laufen würde. Und der Vater würde es auch nicht gerade gern sehen... «
»Und die Mutter?«
»Ach, die Mutter...«, antwortete sie, als ob sie sagen wollte, Mütter seien in solchen Sachen zwar nicht so engherzig, aber auch nicht zuständig.
»Ich bin jetzt elf Tage hier...«
»Ich wundere mich selbst, daß Sie es so lange aushalten.«
»Von aushalten ist keine Rede! Ich könnte hier wochen- und monatelang bleiben...«
»... und mit dem Lehrer und mit dem Riedinger Tarock spielen und mit dem Peter zum Kegelschieben gehen, nicht wahr?«
»Warum nicht? Ich verstehe mich mit den Leuten gut, und ganz besonders gut mit Ihrem Bruder Peter.«
»So?« meinte Christine zweifelnd. »Die Mutter sagt, bis jetzt hätte er nur harmlos gesponnen, aber seit Sie ihm von Venezuela und Südamerika und Mexiko erzählt haben, wäre er ganz verrückt danach, von daheim fortzukommen.«
»Das lag wirklich nicht in meiner Absicht!«
»Aber jetzt redet er von nichts anderem, und jedes zweite Wort bei ihm heißt Herr Gisevius!«
»Donnerwetter«, grinste er, »auf Ihren Bruder scheine ich ja Eindruck gemacht zu haben...«
»Ach, der ist ganz begeistert von Ihnen, Herr Gisevius.«
»Schade, Christine, mir wäre lieber, Sie wären von mir ein bißchen begeistert...«
»Ich muß jetzt gehen, Herr Gisevius!« sagte sie und wollte an ihm vorüber.
»Warten Sie, Christine, ich begleite Sie ein Stück.«
»Bitte nicht, Herr Gisevius! Die Leute haben hier nicht so viel Abwechslung wie in der Stadt, und wenn sie uns miteinander Spazierengehen sehen, zerreißen sie sich das Maul. Lassen Sie mich jetzt bitte durch...« Sie wollte an ihm vorbei, aber er vertrat ihr den Weg.
»Halt, Christine, bleiben Sie noch!« sagte er und griff nach ihrem Arm, »ich muß Sie noch etwas sehr Wichtiges fragen...«
Sie hob das Gesicht und schaute ihn unsicher an.
»Ich meine«, sagte er zögernd und rieb sich den Nasenrücken, »die Schule, und das Haushaltsjahr bei meiner Schwester, und diese ganzen langen Vorbereitungen auf Ihren Beruf als Leiterin eines Krankenhauses oder Kinderheims sind ja ganz schön, nicht wahr... Aber ich könnte mir noch etwas Schöneres vorstellen...«
»Ich wäre natürlich auch lieber Ärztin geworden, am liebsten Kinderärztin... Aber Sie kennen ja nun die Verhältnisse bei uns daheim. Dazu hat es nicht gelangt. Es fiel dem Vater schwer genug, mich auf die Schule nach Straubing zu schicken. Und dann hat der Vater auch gemeint...« Sie brach plötzlich mitten im Satz ab und errötete wieder einmal bis in den Halsausschnitt hinein.
»Was hat Ihr Vater gemeint oder gesagt?« fragte er.
»Daß es sich nicht lohnt...«, murmelte sie verlegen.
»Und warum lohnt es sich nicht?« bohrte er weiter.
»Weil Mädchen ja doch eines Tages heiraten... «, murmelte sie fast unhörbar leise.
»Na, und?« fragte er interessiert, »hat Ihr Vater damit etwa nicht recht?«
»Ich glaube nicht, daß ich heiraten werde...«
»Wie kommen Sie darauf?!« sagte er entrüstet.
Sie hob die Schultern: »Das ist ziemlich leicht zu beantworten, Herr Gisevius: die Männer, die mich heiraten
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