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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Aber für Besiegte gibt es keinen Achtstundentag. Ein Soldat stieß uns mit erhobenem Gewehr zurück, rief drohend: »Frau! Rabotta!« Ein Russenwort, das jede gelernt hat.
    Wir mußten alle zurück in die Halle, weiter Eisenteile aufladen. Stumm und stumpf reichten wir einander die Platten und Stangen zu. Es tut schrecklich weh, kaltes Eisen mit aufgewaschenen Händen anzufassen.
    Endlich, gegen 20 Uhr, rief unser Aufseher, daß der Waggon voll sei. Ja, er war übervoll, er ächzte förmlich, als die Lok ihn aus der Halle schleppte. Vielleicht bricht bis Moskau der Boden durch. Ein alter Arbeiter sprang vom fahrenden Zug und meinte, eigentlich hätten sie ihn gleich drauflassen und mit nach drüben verfrachten sollen, denn »wat sollen wir noch hier?« Und er wies in die verödete, ausgeräumte Halle. Und die Frauen fragten: »Wo sollen unsere Männer jetzt arbeiten?«
    Eine Stunde später war ich zu Hause, todmüde diesmal, mit steifen Händen, die mir das Schreiben heute sauer werden lassen. Dabei immer noch leicht berauscht von dem fetten, reichlichen Mittagessen. Morgen wird weitergewaschen. Unser Chef hat uns schon neue Arbeit angekündigt.
    Samstag, 26. Mai 1945
    Wieder endlose Viehzählung auf dem Fabrikgelände, obwohl unser Wiener es nun eigentlich schon besser können müßte. Der Tag begann wieder mit heißer Graupensuppe. Zufrieden zählten die Frauen die Fleischstücke darin. Und ich freue mich, daß ich keinen Herrn Pauli mir gegenüber habe, der mir die Bissen in den Mund zählt.
    Vergeblich hielt ich nach meiner Mitwäscherin Ausschau. Die kleine, freche Danzigerin war nicht erschienen. Drum überredete ich zwei andere Frauen, eine blutjunge und eine etwa vierzigjährige, beide freundlichen Aussehens, mit mir zur Waschbütte zu kommen. In Eimern standen schon vorgeweichte Uniformblusen für uns bereit, fleckig und ölig; denn dies ist eine motorisierte Truppe.
    Ein Tag wie gestern. Die neuen Wäscherinnen sind emsig und nett. Wieder umdrängen uns die Russen. Wir wehrten uns mit Püffen und albernem Gelächter. Einer, ein Schlitzäugiger, hat es sich in den Kopf gesetzt, uns in Wut zu bringen. Er warf uns ein paar Blusen, die bereits auf der Trockenleine hingen, wieder in die Bütte zurück, wobei er auf etliche noch sichtbare Flecke in den Sachen wies. Ja, freilich sind noch Flecken darin. Das bißchen kümmerliche Seife und unsere Bürsterei reichen nicht aus. Andere Burschen zeigten sich freundlicher, legten Brotstücke neben ihre Blusen.
    Gegen Mittag baute unser Chef draußen vor dem Bau aus einer Kiste und zwei umgekippten Schubladen für uns eine Art Eßzimmer, hieß uns Platz nehmen und servierte uns, immer mit dem gleichen freundlich-unbewegten Gesicht, einen großen Topf fettester Fleischsuppe. Bedächtig aßen wir in der Sonne. Auch meine Mitwäscherinnen genossen dies Essen sehr. Übrigens bekam ich auf meine stereotype Frage, wie oft es ihnen passiert sei, von beiden eine ausweichende Antwort. Die Ältere, eine kesse Person mit verwüsteten Zähnen, doch mit unverwüstlichem Humor, sagte, ihr sei alles egal gewesen – die Hauptsache sei jetzt, daß ihr Mann, wenn er mal von der Westfront wiederkomme, nichts davon erfahre. Ansonsten bekennt sie sich zu dem Satz, daß »ein Rußki aufm Bauch« nicht so schlimm sei wie »ein Ami aufm Kopf«. Sie kann darüber mitreden; sie ist, wie sie sagt, durch einen Volltreffer mit anderen Hausbewohnern im Keller verschüttet worden. Es gab Verletzte und eine Tote. Erst nach zwei Stunden kamen Helfer und gruben die Verschütteten aus. Die Erzählerin geriet in allergrößte Erregung, als sie auf die Tote zu sprechen kam, eine alte Frau. »Die hat an der Wand gesessen, genau vor einem Spiegel.« Den Spiegel hatten die Erbauer so niedrig angebracht, weil der Keller ursprünglich für die Kleinen des Kindergartens gedacht war, der sich in einer Baracke nebenan befand. Als dann aber alle Kinder aus Berlin evakuiert wurden, war der Kindergarten geschlossen und der Keller für die Hausbewohner freigegeben worden. »Und nun hat die alte Frau den Spiegel in tausend Splittern in den Rücken und den Hinterkopf gekriegt. Ganz still ist sie daran verblutet, ohne daß es im Dunkel und in der Aufregung einer gemerkt hat.« Die Erzählerin fuchtelte empört mit ihrem Suppenlöffel in der Luft herum: »Spiegel! Dolles Ding!«
    Freilich ist das ein wunderlicher Tod. Vermutlich sollten sich die Kindlein, für die der Keller gebaut war, vor diesem Spiegel am Morgen nach

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