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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Erfahrungen der Witwe und wartete mit einiger Spannung auf den Augenblick, wann die Kistenböden beim Transport herausbrechen würden. So weit kam es jedoch nicht. Schon als die erste Kiste angehoben werden sollte, erwies es sich, daß sie zu schwer war. Nicht einmal unser Antreiber, ein schielender Unteroffizier mit einem Brustkasten wie ein Schrank, konnte die Kiste bewegen. Karren oder derartiges fand sich nicht. Also erteilte der Schielende nach rauhen Flüchen den Befehl, alles aus den Kisten heraus durch der Hände Kette bis draußen zum Waggon weiterzureichen. So war ein Minimum an Arbeit mit einem Maximum an Aufwand bewältigt.
    Neue Trupps kamen daher, Frauen zumeist, junge, aber auch ganz alte. Es ging die Sage, daß wir was zu essen bekommen sollten. Wirklich beorderte man uns nach 15 Uhr in die Werkskantine. Es gab eine dampfende dicke Brotsuppe. Die Blechteller waren knapp, die Blechlöffel ebenfalls. So mußte immer eine Frau auf die andere warten. Selten, daß eine hinauslief zum Wasserhahn. Die meisten wischten bloß den Löffel flüchtig an Rock oder Schürze ab und nahmen den Teller von ihrer Vor-Esserin so, wie er war.
    Zurück, rabotta! Im Schuppen zog es beträchtlich. Diesmal reichten wir Zink-Armaturen weiter, Stunden und Stunden lang. Endlich, es muß so gegen 20 Uhr gewesen sein, erschien unser schielender Treiber und verkündete: »Frau – nach Chause!«, wobei er eine scheuchende Bewegung mit den Armen machte, als hätte er Hühner vor sich. Erleichtertes Juhu-Geschrei. Danach gab man uns in der Kantine noch ein Stückchen Brot von 100 Gramm. Dann wurde ein Faß hereingerollt; aus dem Spundloch quoll es zäh und weiß – eine Art von Zuckersirup. Wir stellten uns in einer Schlange danach an. »Schmeckt prima«, versicherten schleckend die ersten am Faß. Ich wußte nicht, wohin damit, bis eine Frau mir ein Stück giftgrünes Papier gab, das sie im Schuppen gefunden hatte. Das Grün färbt ab, soll aber, wie die Frauen sagten, nicht giftig sein.
    Stolz kreuzte ich mit meinem Raub gegen 22 Uhr bei der Witwe auf. Die schüttelte bloß den Kopf, als ich den grün gewordenen Leim aus dem grünen Papier polkte. Ich löffelte und leckte und bekam den Mund voll Papier. Tut nichts – schmeckt süß. Erst nach einer Weile fiel mir die Sache mit dem Lexikon und den »Knötchen« der Witwe ein.
    »Ach, nichts«, erwiderte sie auf meine Frage. »Der Arzt sagte, alles sei bei mir in Ordnung.«
    Ich bohrte weiter, wollte wissen, wie es auf der Untersuchungsstelle zugehe.
    »Es waren außer mir noch zwei Frauen da«, berichtete die Witwe. »Der Arzt war ganz fidel. Er hat ein bißchen herumhantiert und dann gesagt ›Grünes Licht, Bahn frei‹!« Die Witwe schüttelte sich: »Nein, damit bin ich durch.« Übrigens hat sich inzwischen ein amtlicher Ausdruck für den ganzen Schändungsbetrieb gefunden: »Zwangsverkehr« nennen es die Behörden. Eine Vokabel, die man vielleicht bei der Neuauflage von Soldatenwörterbüchern berücksichtigen könnte.
    Freitag, 25. Mai 1945
    Wieder früh aufgestanden, durch den klaren Morgen zum Werk marschiert. Frauen kamen von allen Seiten. Heute hatten die meisten Essentöpfe mitgebracht. Auch mir baumelte ein Soldaten-Kochgeschirr am Gürtel. Wir stellten uns auf, laut Befehl zuerst in Dreierreihen, dann zu vieren, wurden endlos abgezählt, sortiert, registriert. Unser Wiener, der uns von der Arbeit an den Loren hierher gefolgt ist – er soll ein Musiker sein – , brauchte fast eine Stunde, bis er uns alle in seinen Listen drin hatte. Manche Frau ist neu hinzugekommen. »Arbeiten müssen wir doch«, hörte ich eine sagen. »Und hier haben wir wenigstens unser Essen.«
    Wirklich begann dieser Arbeitstag mit einer dicken Graupensuppe. Über den Bahndamm schlenderten wir dann zu den Hallen. Am Damm schufteten deutsche Gefangene, Grauköpfe in armseligstem Zeug, wohl Volkssturm. Ächzend luden sie schwere Radkränze auf Waggons. Sie schauten uns so eindringlich an, drückten sich herum. Ich begriff nicht, wieso. Andere Frauen begriffen und steckten den Männern verstohlen Brotstücke zu. Das ist verboten. Doch der russische Posten blickte eisern in eine andere Richtung. Die Männer waren unrasiert und abgezehrt, hatten einen elenden Hundeblick. Mir war, als sähen sie gar nicht deutsch aus. Sie glichen den Russengefangenen, wie man sie während des Krieges schon einmal auf Trümmerstellen aufräumen sah. Auch das ist eine Umkehrung, deren Logik überzeugt.
    Wieder in der

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