Eine Frau sein ist kein Sport
Meier ist eine moderne Frau, mit wachem Verstand, Verkitschtem, Verlogenem abhold, Gefühlsduselei und Schönfärberei mag sie nicht. So schätzte sie auch den Muttertag nie, fand ihn verlogen, verkitscht, Realität schönfärbend! Sooft die Rede auf ihn kam, sprach sie funkelnden Auges: »Ja, ja, 364 Tage im Jahr grobe Vernachlässigung, am 365. Ehrentag zum Ausgleich! Damit’s nachher wieder im alten Trott weitergehen kann!«
Schon als junges Mädchen pflegte sie diesbezüglich zu sagen, dass sie dereinst, falls einmal Mutter, nie den lächerlichen Ehrentag begehen werde, ersatzlos streichen werde sie ihn! Nun ist Frau Meier seit geraumer Zeit Mutter und feiert den Muttertag. Zähneknirschend am Anfang, später nur noch leise seufzend, jetzt abgeklärt lächelnd. Das hat sich halt so ergeben.
Was soll man denn tun, wenn Knirpse mit glänzenden Kulleraugen vom Kindergarten kommen und aufgeregt mitteilen, dass sie ein Geheimnis haben, ein wunderschönes, dass sie das nicht verraten dürfen, dass es die Mami erst am Sonntag erfahren und sich dann riesig freuen wird!
Da kann man nicht sagen: »Ich ahne, ihr habt ein Muttertagsgeschenk gebastelt, aber darauflege ich keinen Wert.«
Und wenn die Knirpse am Muttertagsmorgen beim Bett stehen, der eine mit einem Tonfladen, darin »zur ewigen Erinnerung« der Abdruck seiner Patschhand, der andere mit einem getupften Joghurtbecher, angeblich geeignet, Ohrklippse oder Knoblauch darin aufzubewahren, muss man doch beglückt »Danke« stammeln. Und wenn die Knirpse größer sind und in der Schule ein Gedicht lernen, in dem sich Mütterlein auf Sonnenschein und Herz auf Schmerz reimt, kann man ihnen auch nicht verwehren, das mühsam Erlernte aufzusagen.
Außerdem hat Frau Meier nicht nur Kinder, sie hat auch eine Mutter. Und die will einen gefeierten Muttertag! Und wenn Frau Meier bei sich daheim den Muttertag abschaffen würde, würde sie es ihrer Mutter zeigen, dass sie diesen Tag nicht mag. Und die Mutter würde das als Rüge ihres eigenen Bedürfnisses nach Ehrung auffassen und wäre gekränkt. Und kränken will Frau Meier ihre Mutter wahrlich nicht.
Was Frau Meier allerdings nicht weiß, ist, dass sich ihre Mutter seinerzeit auch erst mühsam an den Muttertag gewöhnte. Durch eine kleine Tochter, die mit rosa Papierherz, Vergissmeinnicht-Sträußlein und Verslein darauf bestand, die Mutter zu ehren.
... wie man sich fühlt
Zu den Spruchweisheiten, die einem ab einem gewissen Alter regelmäßig serviert werden, gehört zweifelsohne: »Der Mensch ist nicht so alt, wie in seinem Taufschein steht, er ist so alt, wie er sich fühlt.«
Sicher, sicher, da ist schon allerhand Wahres dran, aber wie sich der Mensch fühlt, hängt halt leider gewaltig davon ab, wie man mit ihm umgeht.
Da fühlt sich zum Beispiel eine Mutter gerade »unerhört blutjung«. Und dann geht sie mit ihrer tatsächlich unerhört blutjungen Tochter spazieren und muss zur Kenntnis nehmen, dass sämtliche bewundernden Blicke von entgegenkommenden Männern nicht ihr gelten, sondern ihrem Töchterlein. Nach Beendigung des Spazierganges wird bei der armen Frau das schöne Gefühl des »Blutjungseins« wohl erheblich dahingeschmolzen sein.
Und wenn ein gnadenloser Ehemann seiner fünfzigjährigen Ehefrau, die sich »wie dreißig« fühlt, mehr oder minder zart andeutet, dass eine verwegene Lockenpracht in Burgunderrot nicht zu »einer Frau im Oma-Alter« passe, gleicht sich bei der gerügten Fünfzigerin das Gefühls-Alter ziemlich schnell dem Taufschein-Alter an. Umgekehrt funktioniert es freilich auch. Da ist eine vierzigjährige Frau, die hadert seit Tagen mit sich, sooft sie in den Spiegel schaut. Alt, uralt kommt sie sich vor, wenn sie – was sie dreimal täglich tut – ihre beginnenden Fältchen im Vergrößerungsspiegel mustert. Wie hundert und ein bisschen drüber! Und dann geht sie eines Tages mit vergrämtem Sichelmund aus dem Haus, und vor der Haustür trifft sie eine Bekannte, die sie seit Jahren nicht gesehen hat, und die ruft aus: »Gut schauen Sie aus, gar nicht verändert haben Sie sich! Toll, wie Sie sich halten!« Und nach Beendigung des kleinen Gesprächs geht die Frau weiter, und an der Straßenecke stößt bei ihrem Anblick ein junger Mann, der Kartons aus einem Lkw ablädt, einen anerkennenden Pfiff aus. Und wie die Frau in ein Geschäft kommt, hält ihr ein Herr in besten Jahren die Tür auf und sagt: »Nach Ihnen, schöne Frau!« Heimgekehrt, fühlt sich die Dame sicher nimmer wie
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