Eine Freundschaft im Winter
Skier ruinierten.
Während Jill im Sessellift den Berg hinauffuhr, begann es zu schneien. Zuerst fielen nur ein paar vereinzelte Flocken, aber je näher sie dem Gipfel kam, desto dichter wurde das Schneetreiben. Als ihre Skier auf der Rampe wieder den Boden berührten, stand sie auf und glitt die Erhöhung hinunter. Sie stieß gegen eine kleine Bodenwelle, verlor kurz das Gleichgewicht, fing sich jedoch wieder. Ihr wurde klar, dass sie zu steif in den Knien war und dass sie lockerlassen musste, um Unebenheiten auszugleichen.
Sie fuhr den Mäander hinab – eine leichte Strecke, die sie früher gern zum Aufwärmen gefahren war. Sie glitt die Hügel und Pisten entlang, die ihr wie alte Freunde vorkamen, Orte, die ihr einst so vertraut gewesen waren wie Davids Körper. Gelöst beugte sie die Knie und fing so die Schläge jeder Bodenwelle ab, über die sie fuhr, ohne die Balance zu verlieren. Überrascht stellte sie fest, wie leicht ihr Körper sich daran erinnerte, was zu tun war. Wenn es doch nur auch so leicht wäre, die Schläge abzufangen, die das Leben austeilte, und in jeder Situation das Gleichgewicht zu halten.
Sie kam unerwartet an eine Gabelung und konnte sich nicht daran erinnern, welchen Weg sie nehmen musste. Mit einem Mal kam ihr die Gegend fremd und kalt vor. Sie bog nach links ab und hatte keine Ahnung, wo sie war. Ihre Beine fingen an zu zittern, ihre Muskeln zu brennen. Der Hauch von Sicherheit, den sie gerade noch verspürt hatte, war mit einem Schlag weg. Sie hielt an, ruhte sich kurz aus und versuchte, diesen Strecken verlauf in ihrem Gedächtnis wiederzufinden. Aber ihr kam nichts bekannt vor. Sie konnte allerdings auch nicht viel erkennen, denn die Sicht war unglaublich schlecht.
Irgendwann sagte sie sich, dass immerhin alle Strecken den Berg hinunterführten. Und selbst wenn sie auf eine schwarze Piste geriet, steckte noch immer das Mädchen in ihr, das wusste, wie man die Strecke nahm. Langsam fuhr sie weiter und versuchte, sich keine Sorgen zu machen. Stattdessen bemühte sie sich, ihre Gedanken nur auf das Gefühl zu richten, im Neuschnee dahinzugleiten. Und ihr wurde bewusst, dass das wahrscheinlich die Antwort auf diesen besonderen Augenblick und ihre momentane Lebenssituation war: Vertraue auf dich selbst, lass es langsam angehen und versuche, dir keine Sorgen über das zu machen, was vor dir liegen mag.
Mike konnte verstehen, warum Cassie sich mit all den Kindermädchen nicht wohlgefühlt hatte. Es lag nicht an den Menschen an sich. Doch manchmal fühlte es sich einfach an, als würden durch ihre bloße Anwesenheit Spuren übertönt werden, die Kate in ihrem Heim hinterlassen hatte. Wenn das Kindermädchen zum Beispiel etwas an einen Ort zurückstellte, an den Kate es nicht gestellt hätte. Derartige Kleinigkeiten. Kleinigkeiten, die eigentlich keine Rolle hätten spielen sollen, es aber doch taten.
Weil ihm die Stille im Haus nicht behagte, beschäftigte Mike sich mit Hausarbeit. Er zog die Schmutzwäsche aus dem Wäschekorb und sortierte sie zu zwei Haufen: dunkle und helle Wäsche. Dann stellte er das Waschprogramm ein, gab ein bisschen Bleiche und Waschpulver in die Maschine und warf die weiße Wäsche hinein.
»Ich bin nicht geschaffen dafür«, hatte Kate im vergangenen Februar zu ihm gesagt. Damals hatten sie noch nicht gewusst, dass sie krank war – zumindest hatte sie es ihm noch nicht gesagt. Er fragte sich, ob sie den Knoten in ihrer Brust zu dem Zeitpunkt schon ertastet hatte, ob sie gewusst hatte, dass etwas nicht stimmte. Mike war gerade von einer Schicht nach Hause gekommen, und Kate hatte Wäsche zusammengelegt. »Ich weiß, dass wir uns darauf geeinigt haben, dass ich zu Hause bleibe, um unsere Tochter großzuziehen, und dass du arbeiten gehst. Aber ich fühle mich wie eine Sklavin. Und ich hasse das Gefühl. Ich vergeude mein Leben.«
»Willst du damit sagen, dass du arbeiten willst?«, fragte Mike.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Kate.
»Willst du damit sagen, dass du dir mehr Hilfe von uns im Haushalt wünschst?«
»Ich schätze, ja«, erwiderte sie.
»Das können wir gern machen. Kate, ich hoffe, dass du nicht wirklich glaubst, dein Leben zu vergeuden, weil du zu Hause bist, um Cassie zu erziehen. Sie ist deinetwegen der Mensch, der sie ist. Und sie ist klug und glücklich und selbstbewusst. Sie kommt sehr gut in der Schule zurecht, und auf Skiern ist sie ein Riesentalent. Das bist alles du, Kate«, sagte Mike.
Sie ließ die Schultern sinken.
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