Eine Freundschaft im Winter
Schnee. Sie blieb an der Böschung, wo sie sicher sein konnte, festen Boden unter den Füßen zu haben, und fing an, ein Loch in den Schnee zu graben, bis sie auf die Kieselsteine darunter traf. Sie versuchte, mit der Schaufel ein paar der Kiesel zu fassen, doch sie waren festgefroren. Verzweifelt hackte sie sich mit dem Schaufelblatt durch das Eis und hoffte inständig, einige der Steine lösen zu können. Sie wünschte sich so sehr, etwas von ihrer Mutter zu hören. Es war schon so lange her, dass sie sie gespürt hatte, und da Weihnachten näher und näher rückte, wurde ihr Schmerz immer größer. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber es wurde tatsächlich noch schlimmer.
Ein paar Kiesel lockerten sich, und sie fiel auf die Knie, um sie eingehend zu betrachten. Bitte lass ein Herz dabei sein, dachte sie. Bitte, bitte, bitte. Doch sie fand keines und hörte auch die Stimme ihrer Mutter nicht. Zwei Stunden lang grub sie und fand doch nichts. Schließlich gab sie auf und setzte sich mutlos in den Schnee.
Nach einer Weile ging sie den Weg nach Hause zurück, den sie gekommen war. Im Schuppen tauschte sie die Schaufel gegen ihre Tasche ein und ging ins Haus.
Mike war wach. »Wie lief es mit den Hausaufgaben?«, erkundigte er sich.
»Ziemlich gut«, erwiderte Cassie. »Danach haben wir einen Schneemann gebaut«, sagte sie, um zu erklären, warum sie klitschnass war.
»Das war sicher lustig«, entgegnete er.
Sie ging die Treppe hinauf und zog sich trockene Kleidung an. Dann kroch sie ins Bett, breitete die dicke Decke über sich, holte sich die Hausaufgaben und versuchte, sich irgendwie dafür zu interessieren.
»Also, Lisa, sag schon«, drängte Eric, »wie war dein Date gestern Abend?«
Lisa stand am Herd und briet frisch geriebenen Ingwer in Butter an. Die erste Etappe, um Lebkuchen herzustellen. »Wie kommst du darauf, dass ich ein Date hatte?«
»Tom hat gesehen, wie du in deiner schicken Ausgeh-Jacke verschwunden bist, und hat gewartet, bis du wieder da warst«, sagte Eric.
»Was für ein Stalker!«, murmelte Lisa.
»Mit wem hatte Lisa ein Date?«, rief Hans aus dem Nebenzimmer, wo er zum vierten Mal seinen Geburtstagsfilm anschaute.
Lisa sah Jill und Eric an, zuckte die Schultern und sagte: »Mit niemandem! Ich habe keine Dates mehr. Ich war allein im Kino.«
Hans kam in die Küche und legte seine leere Flasche in den Korb mit dem Altglas.
Eric machte sich ein neues Bier auf. »Lisa hat gerade verkündet, dass sie keine Dates mehr hat«, sagte er zu Hans, der ungläubig die Augenbrauen hochzog.
»Du hast keine Dates mehr?«, fragte Hans.
»Ich habe mit Howard darüber gesprochen«, sagte Lisa.
»Oh, hört, hört!« Jill lachte.
»Und ob ihr es nun glaubt oder nicht«, fuhr Lisa fort, »Howard hat gesagt, dass die Ehe in unserer Kultur den Respekt des Mannes gegenüber der Frau ausdrückt. Wenn ich Männer meide, die heiratswillig sind, meide ich zwangsläufig auch Männer, die mir Respekt zollen. Ich fürchte, dass ich eines Tages aus diesem Grund heiraten muss. «
Hans und Eric dachten schweigend über ihre Worte nach. Für Lisa war das ein Zeichen, dass es möglicherweise stimmte.
Jill blickte in die Runde. »Ich weiß allerdings aus eigener Erfahrung, dass die Ehe keine Garantie für Respekt ist.«
»Nein, das ist mir schon klar«, erwiderte Lisa. »Wenn die Ehe auch keine Garantie für gegenseitigen Respekt darstellt, so ist doch das Singledasein eine Garantie für Nichtachtung. Zumindest halte ich das so für möglich.«
»Definiere Nichtachtung«, sagte Eric.
»Es bedeutet, nur auf die Vagina reduziert zu werden. Es bedeutet, niemals der Familie vorgestellt zu werden. Der letzte Typ, mit dem ich mich getroffen habe, hat mir erklärt, er wolle weder eine feste Freundin noch eine Affäre. Das sei ihm zu innig, und außerdem habe er gerade erst eine Beziehung hinter sich. Er wolle einfach nur eine Frau, mit der er ab und zu Sex haben könne. Und ich habe ein paar Wochen lang mitgemacht, weil ich es auch so wollte. Aber im Gegensatz zu ihm wollte ich weder alleine einschlafen noch alleine Frühstück machen. Und im Supermarkt bin ich dann seiner Mutter begegnet …«
»Aha, also war es jemand aus der Stadt«, sagte Eric und warf Hans einen Blick zu. Er überlegte, wer es gewesen sein könnte.
»… und ich habe sie ganz normal gegrüßt und so getan, als wäre nichts passiert. Ich habe nur gehofft, dass sie keine Ahnung hat, dass ich Zeit mit ihrem Sohn verbracht habe. Denn
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