Eine Freundschaft im Winter
Kühlschranks und der Schränke angesehen und beschlossen hatte, eine Gemüsepfanne zuzubereiten.
»Ich habe gehört, dass du Tiefkühlgerichte hasst«, sagte Jill. »Ich auch.«
»Ich hasse fast alles«, erwiderte Cassie.
Jill wusste, dass die Bemerkung sie verletzen sollte, doch anstatt darauf zu reagieren, entgegnete sie nur: »So ein Mist.« Sie fragte sich, auf was sie sich da eingelassen hatte. Nach einer langen peinlichen Pause versuchte sie es noch mal. »Wie war dein Tag?«
»Hör mal, du musst nicht versuchen, meine Mom zu sein, okay?«, sagte Cassie höhnisch.
Glücklicherweise schob Jill gerade den Beutel mit den gefrorenen Brokkoli-Röschen zurück ins Gefrierfach, sodass Cassie ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Sie holte tief Luft und bemühte sich, ihre Worte sorgfältig zu wählen und auf den Tonfall ihrer Stimme zu achten. »Vielleicht kannst du eine Liste der Dinge machen, die deine Mutter getan hat, und die Stellen unterstreichen, die ich als dein Kindermädchen auch tun sollte. Dann kann ich möglicherweise verstehen, wo die Grenze genau liegt. Ich glaube nämlich nicht, dass ich versucht habe, deine Mom zu sein. Ich wollte einfach nur nett sein.«
Wortlos stand Cassie auf und verschwand in ihrem Zimmer.
Jill kochte zu Ende, aß ein paar Bissen und gab für Cassie etwas von der Gemüsepfanne auf einen Teller. Danach tat sie die Reste in den Kühlschrank, räumte auf, wusch ab und machte sich auf den Weg ins Bad.
Im ganzen Haus hingen Bilder von Kate, Mike und Cassie. Jill besah sich neugierig die Vergangenheit der drei – eng umschlungen an allen möglichen malerischen Orten, mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Kate auf der Highschool besonders oft gelächelt hatte, und fragte sich, wie sie zu diesem Menschen geworden war.
Sie hatte sich die Zähne geputzt und sich in das steinharte Futonbett in Mikes Arbeitszimmer gelegt.
Am nächsten Morgen tat Cassie so, als wäre nichts vorgefallen – weder die unhöfliche Abfuhr noch der Albtraum. Sie wünschte Jill einen guten Morgen und aß schweigend ihre milchgetränkten Cheerios.
Jill war froh, Cassies Teller vom gestrigen Abendessen in der Spüle zu entdecken, denn das hieß, dass sie irgendwann in der Nacht gegessen hatte. Sie stellte ihn in den Geschirrspüler.
Cassie wusch ihre Schüssel ab, packte ihre Bücher in ihre Fahrradkuriertasche und ging mit einem beiläufigen »Bis später!« aus der Küche.
Mike kam gerade nach Hause, als Cassie aus der Tür trat. Er gab ihr einen Kuss und wünschte ihr einen schönen Tag.
»Na, wie ist es gelaufen?«, erkundigte er sich kurz darauf.
Jill zögerte und überlegte, wie sie sich ausdrücken sollte.
»Nicht so gut, nicht wahr?« Er seufzte.
»Es war nichts Dramatisches. Sie war gestern Abend ein bisschen feindselig mir gegenüber, aber heute Morgen war sie ganz höflich. Sie hatte einen Albtraum, ist jedoch wieder einge schlafen.«
Mike rieb sich über die Stirn. »Danke, dass Sie so geduldig sind, bis sie wieder im Lot ist.«
Jill zuckte mit den Achseln, als wollte sie sagen: Wir tun alle unser Bestes, nicht wahr? Dann fügte sie an: »Ich hoffe, Sie sind auch geduldig mit mir. Ich kann mir vorstellen, dass Cassie meine Grenzen austesten will. Bis sie herausgefunden hat, wo diese Grenzen sind, wird sie mich wahrscheinlich nicht besonders mögen. Wir werden einige schwierige Momente durchleben, bis wir miteinander klarkommen. Ich hoffe, dass Sie währenddessen nicht schlussfolgern, es würde nicht funktionieren. Manchmal braucht es einfach Zeit.«
»Gut«, entgegnete Mike und nickte skeptisch.
Jill nahm ihre Tasche und zog ihren Mantel an.
»Bis zum nächsten Mal«, sagte Mike und schloss die Tür hinter ihr.
Jill ging unter einem wolkenverhangenen grauen Himmel zum Berg. Ab und zu küsste eine zarte Schneeflocke ihr Gesicht. Sie mochte den Weg zu ihrer neuen Arbeitsstelle. Es war viel besser als der Verkehr in Austin.
Am späten Vormittag kehrte Tom aus der »Bronchitis-Baracke« zurück, der zugigsten Hütte der Bergwacht. Dort hielt er sich während seines Dienstes meistens auf und versorgte verunglückte Skifahrer. Nun bat er Jill, eine Skipause zu machen und nach Touristen auf der Piste Ausschau zu halten, die in Not waren und Hilfe brauchten. Lisa hatte Jill ihre alten Skier geliehen, die sie nur noch am Anfang und am Ende des Winters nutzte, wenn die Schneedecke dünn war und Steine hervorkamen, die möglicherweise ihre neuen
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