Eine Freundschaft im Winter
liebevoll mit den Fingern über jedes einzelne Kleidungsstück und erinnerte sich daran, wie er mit der Hand über Kates Knie gestrichen hatte, als sie diese Hose getragen hatte, oder wie er ihre Schulter gedrückt hatte, als sie das T-Shirt angehabt hatte. Er räumte die Sachen in eine andere Kiste.
Dann ging er nach unten, holte eine Papiertüte und warf Socken, Unterwäsche und ihre alten Laufschuhe hinein. Diese Dinge würde niemand mehr haben wollen.
Mit der Tüte in der Hand ging er hinter die Garage, wo die Mülltonne stand. Er öffnete den Deckel. Als er die Tüte jedoch in die Tonne werfen wollte, brachte er es nicht übers Herz, die Griffe loszulassen. Also hob er sie wieder heraus. Er konnte nicht so tun, als wären die Dinge seiner Frau Müll. Er war noch nicht bereit für den Gedanken, dass sie tagelang in einer stinkenden Mülltonne liegen und dann auf einer Mülldeponie landen würden. Eine ganze Weile stand er da und war sich unsicher, was er mit den Dingen anfangen sollte, die keinen Nutzen mehr hatten, mit den Dingen, die er eigentlich loslassen sollte. Schließlich ging er in die Garage und stellte die Tüte ganz oben auf ein Regal, neben einige Kartons mit anderen nutzlosen Sachen, von denen er sich auch nicht trennen konnte.
Er nahm einen leeren Karton mit nach oben und stapelte ihre Schuhe hinein. Auch damit wusste er nichts anzufangen. Auf die Schuhe legte er die Handtaschen, die schon ziemlich abgenutzt waren – Kates Lieblingstaschen. Vorsichtig klebte er den Karton zu und verschloss die Plastikkisten.
Dann setzte er sich ans Fußende des Bettes, starrte auf Kates Hälfte im Kleiderschrank, die nun leer war, und weinte.
Mrs. Campbell klebte ein grünes Kleeblatt auf das T-Shirt des neuen Kindes, das verlegen vor der Klasse stand. »Das ist Mauricio«, sagte sie. »Ich weiß, dass Saint-Patrick’s-Day ist, aber kneift ihn bitte nicht, wie es der Brauch ist, denn das würde er nicht verstehen. Könnt ihr euch vorstellen, an eurem ersten Schultag in einem fremden Land von jedem gekniffen zu wer den, nur weil ihr kein Grün tragt? Das wäre grausam. Passt darauf auf, dass auch niemand aus den anderen Klassen ihn ärgert. Steht ihm bei.«
Dann setzte sie ihn neben Cassie. Vielleicht war es Zufall, vielleicht auch Absicht – Cassie war sich nicht sicher. Er sprach ihre Sprache nicht, und das allein war schon ein Grund für sie, ihn zu mögen. Mit Mauricio müsste sie nicht über die Sache mit ihrer Mutter reden. Cassie konnte ihm ansehen, dass er sich nicht wohlfühlte und wahrscheinlich sein Zuhause vermisste, wo auch immer das war – er empfand einen ganz eigenen Verlust.
Da er sprachlich nicht mitkam, war er im Unterricht verloren. Sie versuchte, ihm einiges mit Handzeichen zu erklären und ihm zu helfen, wo sie nur konnte. Mrs. Campbell gab ihm ein spanisches Wörterbuch, und Cassie schlug mit ihm zusammen Wörter nach. Wenn es Zeit war, irgendwo hinzugehen, stieß sie ihn an und bedeutete ihm, mit ihr zu kommen. Es dauerte nicht lange, und er klebte förmlich an ihr.
In der kleinen Pause sprang sie noch Seil, und er saß einsam und verlassen auf einer Bank neben dem Spielplatz. In der Mittagspause dann schnappte sie sich statt des Springseils einen Basketball und brachte Mauricio dazu, mit ihr ein paar Körbe zu werfen. Er war richtig schlecht und bedeutete ihr, dass er lieber Fußball spielte.
Als sie zum Essen in die Kantine gingen, machte sie sich keine Gedanken darüber, möglichst weit hinten in der Warteschlange zu stehen. Stattdessen stellte sie sich mit ihm vorne an und zeigte ihm, wo er all das bekam, was er brauchte. Zusammen suchten sie sich einen Tisch und aßen. Sie mochte ihn so gern, dass sie ihn in der fürchterlich überfüllten Cafeteria, in der es laut und ungehobelt zuging, nicht allein ließ. Statt sich in die Bibliothek zurückzuziehen, blieb sie an Mauricios Seite.
Als er den Blick senkte, um die letzten verkochten Erbsen auf seinen Löffel zu schieben, fiel Cassie seine Halskette auf, an der ein Anhänger baumelte. Der Anhänger zeigte die Jungfrau Maria in einem Herzen. Ihr neuer Freund trug das Bild der Muttergottes in einem Herzen um den Hals. Cassie war sich sicher: Ihre Mutter hatte ihn ihr geschickt. Mauricio sah auf und lächelte sie an. Cassie blickte auf den Anhänger, deutete auf ihren eigenen Hals und nickte, um ihm zu zeigen, dass ihr die Kette gefiel. Er faltete die Hände zum Gebet und nickte ebenfalls.
Es war nicht nur
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