Eine für alle
kam mir nach, als ich ins Wohnzimmer zurückging, um Carol die Lage zu schildern. »Ich schaue nach, ob ihr was zugestoßen ist. Vergiss den Vortrag, den ich dir gerade gehalten habe - ich wäre für medizinische Hilfe dankbar, falls sie einen Schlaganfall gehabt hat oder so.«
Carol lächelte schief. »Du brichst einer Fremd en zuliebe in ein Haus ein, V. I. ? Ich glaube, dann kann ich mitkommen und ihr eine Mund-zu-Mund-Beatmung verpassen, falls sie das braucht.«
Die Polizei hatte vor ein paar Jahren meine professionellen Dietriche konfisziert, aber im Winter hatte ich bei einer Sicherheitskonferenz auf dem Flughafen O'Hare neue besorgt -natürlich angepriesen als »Spitzenprodukte«. Vielleicht hatte ich heute Abend zum ersten Mal die Gelegenheit, sie auszuprobieren. Der Nervenkitzel war nicht gerade überwältigend: Die prickelnde Erregung beim Jagen und Gejagt werden scheint sich mit dem Alter zu legen. Ich steckte die Dietriche in die Jackentasche und ging mit Mr. Contreras und Carol hinunter.
»Hi, Todd, Vinnie. Habt ihr den Lynchmob beisammen?«
Die beiden sahen sich so ähnlich, dass sie Brüder hätten sein können - Weiße, Mitte dreißig, mit geföhntem, sorgfältig geschnittenem Haar und eckigen, auf nichtssagende Weise gut aussehenden Gesichtern, jetzt vor rechtschaffener Wut rot angelaufen. Mein Nachbar und ich hatten uns eine Zeitlang einer gewissen Annäherung erfreut. Er hatte ein Verhältnis mit einem Bühnenbildner, den ich mochte. Aber als Rick ihn verließ, kehrten Vinnie und ich zu einer natürlichen Feindseligkeit zurück. Und bis jetzt hatte ich noch nichts entdeckt, was mich Todd Pichea auch nur Millimeter näher gebracht hätte.
Hinter Pichea standen zwei Frauen, die ich vage von der Straße kannte. Eine war eine mollige Blondine, Ende fünfzig oder Anfang sechzig, in schwarzen Stretchhosen, die die Schlaffheit ihres Alters zur Schau trugen. Die Lycraleggings der zweiten Frau schmiegten sich an einen im Fitnessstudio durchtrainierten Körper. Die Diamanttropfen in ihren Ohren kontrastierten mit der Schäbigkeit der Klunker der älteren Frau. Die Jüngere runzelte ungeduldig die Stirn, während die Ältere eine besorgte Miene machte. Pichea schaute noch finsterer drein, als er mich hörte. »Sehen Sie, Warshawski, ich weiß, dass Ihnen der Wert Ihrer Wohnung piepegal ist, aber Sie sollten die Rechte anderer respektieren.«
»Es ist eine Weile her, seit ich Verfassungsrecht studiert habe, aber steht nicht im vierten Zusatzartikel, dass jeder das Recht hat, im eigenen Haus sicher zu sein?« Pichea verzog die Lippen zu einer schmalen Linie. »Solange er keine Belästigung für die Öffentlichkeit darstellt. Ich weiß nicht, was für einen Narren Sie an der alten Schachtel gefressen haben, aber wenn Sie ihr gegenüber wohnen und von den verdammten Hunden wach gehalten würden, sähen auch Sie das anders.«
»Seien Sie da nicht so sicher! Wenn ich wüsste, dass Sie hinter ihr her sind, könnte ich mich wahrscheinlich dazu bringen, das Gebell zu tolerieren. Sie arbeiten für eine große Kanzlei in der Innenstadt. Sie haben jede Menge Verbindungen zum Gericht, und Sie wollen Ihren ganzen Einfluss aufbieten, um eine hilflose alte Frau fertigzumachen. Sie wohnt schon lange hier, wissen Sie - vierzig oder fünfzig Jahre. Sie hat nicht versucht, Sie am Herziehen zu hindern. Und jetzt ruinieren Sie die Straße. Wie wär's mit ein bisschen Entgegenkommen?«
»Genauso ist es«, ergriff die ältere Frau mit ängstlicher Stimme das Wort. »Hattie -Harriet - Mrs. Frizell - war nie eine unkomplizierte Nachbarin, aber sie kümmert sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten, solange man sie in Ruhe lässt. Ich mach mir bloß Sorgen, ich hab sie seit gestern Morgen nicht mehr gesehen, und als ich bemerkt habe, wie dieser Herr bei ihr klingelt, bin ich hinübergegangen, um zu sehen, was nicht stimmt.«
»Die Straße ruinieren? Die Straße ruinieren?« Die Frau in Lycra blaffte scharf. »Todd und ich haben dieses Rattenloch von einer Straße aufgewertet. Wir haben hundert Riesen ausgegeben, um das Haus und den Garten in Ordnung zu bringen - wenn wir nicht gewesen wären, würde es da aussehen wie bei ihr.«
»Schon, aber Sie stören ihren Frieden, wollen sie aus ihrem Haus vertreiben, die Hunde einschläfern lassen und so weiter.«
Ehe der Streit weiter eskalieren konnte, legte mir Carol die Hand auf die Schulter. »Schauen wir nach, ob die alte Dame zu Hause und wach ist, Vic. Wer der Straße am meisten
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