Eine ganz andere Geschichte
charakteristisches, etwas schiefes Lächeln, und als wir beieinander angekommen waren, blieben wir nur einen kurzen Moment stehen, wechselten ein paar aufmunternde Worte, sie berührte leicht, fast flüchtig, meine Wange, und dann setzten wir unsere Wanderung jeweils fort.
Sie sagte es nie mit Worten, aber ich konnte ihrem Gesicht ansehen, dass sie dankbar dafür war, dass ich endlich damit begonnen hatte, mich um diese Menschen zu kümmern. Ich konnte außerdem sehen, dass sie dabei war, eine erwachsene Frau zu werden.
Ursache und Wirkung also. Wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, wird man sehen, dass nur das hier die Frage ist.
Manchmal träume ich auch von Doktor L, dabei handelt es sich immer um die gleiche kurze Sequenz, und jedes Mal, wenn ich aufwache und mich an sie erinnere, spüre ich, dass mein Bedürfnis an Trost für eine Weile befriedigt worden ist. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch, ich komme in den Raum, er hebt seinen Blick von den Papieren, die er gerade gelesen hat, schiebt sich die Brille auf die Stirn und nickt mir auf seine etwas nachdenkliche Art zu.
Ich verstehe, sagt er. Du brauchst dich gar nicht erst hinzusetzen und alles zu erklären, mach einfach nur weiter.
Mach weiter.
14. – 16. August 2007
19
I m Traum drängelte er mit fetten Engeln um die Wette.
Es bildete sich eine Art halb organisierter Schlange, er befand sich am Fuße einer Wendeltreppe, und das Ziel bestand aus einem Tor in einer verwitterten Kalksteinmauer, gut fünfzig Meter oberhalb von ihm. Dort sollte man durchgehen. Einige der Engel erschienen ihm bekannter als andere, unter denen, die er als Erste identifizierte, war seine ehemalige Gattin Helena, er entdeckte sie ein paar Treppenstufen höher, und es erschien ihm doch etwas sonderbar, dass es ihr gelungen war, einen so deutlich höheren Status zu erlangen. In den fünfundzwanzig Jahren, seit er sie kannte, war sie nie so etwas wie ein Engel gewesen, ganz im Gegenteil, aber direkt neben ihr sah er die Brüder Digerman, zwei alte Einbrecher und Gewaltverbrecher, die er vor vielen Jahren geschnappt hatte, dann wurde es hier ja wohl mit dem Lebenswandel nicht so genau genommen, wenn man es genau betrachtete – und jetzt, genau in diesem Moment, entdeckte er Axel Wallman und Hauptkommissar Jonnerblad. Sie hatten die Arme um die Flügel-schäfte des jeweils anderen gelegt und schienen in ein Gespräch über etwas außerordentlich Wichtiges vertieft zu sein. Vielleicht darüber, wie man in der Schlange weiter nach vorn gelangen konnte – es ging ja allem Anschein nach nur darum, die Treppe hinauf und durch das Loch in der Mauer zu kommen, und bevor Barbarotti sich recht versah, war er an allen vorbeigehuscht und oben angekommen.
Dort wartete der Heilige Petrus, wer denn sonst, das hätte ihm doch klar sein müssen, aber er wurde von der einfachen Frage, die der weißbärtige und leicht schielende Pförtner ihm stellte, dennoch überrumpelt.
»Nenne mir drei gute Taten, die du während deiner Wanderung auf Erden gemacht hast.«
Nur drei?, dachte er fröhlich, aber dann war es, als hätte er sich selbst ein Bein gestellt. Das Gehirn bekam einen Kurzschluss, die Zunge klebte am Gaumen, die Achselhöhlen schwitzten. Er öffnete und schloss den Mund einige Male, und Petrus hob eine fragende Augenbraue.
Ich habe meine Kinder geliebt, dachte er, besonders meine Tochter – aber das erschien ihm aus guten Gründen etwas plump. Seine Kinder lieben, das tat ja wohl jeder, Massenmörder und Wahnsinnige eingeschlossen. Hier war etwas mit mehr Biss nötig, das war offensichtlich. Aber was … was um des lieben Friedens willen hatte er überhaupt ausgerichtet? Welche Goldkörner konnte er vorweisen, die sich nicht als reiner Eigennutz herausstellten oder … nur den faden Glanz des Alltäglichen und Banalen zeigten?
Den einen oder anderen Verbrecher eingefangen und doppelt so viele laufen lassen? Damit war wahrscheinlich kein großer Staat zu machen. Er hatte das Gefühl, dass Petrus außerdem ziemlich freie Sicht in sein Inneres hatte, da konnte er nicht mit irgendwelchen windigen Dingen kommen.
»Nun?«, fragte Petrus nach. »Ich sehe, dass du siebenundvierzig Jahre alt bist. Irgendetwas musst du in der Zeit doch zustande gekriegt haben.«
»Ich bin einfach nur nicht vorbereitet«, erklärte Barbarotti. »Dass ich hier stehen würde, meine ich.«
Er spürte, wie sich die Engel hinter ihm darüber mokierten, dass er zu lange Zeit für sich am Portal in Anspruch
Weitere Kostenlose Bücher