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Eine ganz andere Geschichte

Eine ganz andere Geschichte

Titel: Eine ganz andere Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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hat ertrinken lassen. Oder? Ich finde, dann ist es auch deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass wir aus dieser Lage herauskommen. Ganz einfach.«
    Ich schaute mich um. Versuchte die Gesichter der anderen in der dunklen Kajüte zu erkennen, meine Augen hatten sich ein wenig an das fehlende Licht gewöhnt, aber dennoch war es unmöglich, Details zu erkennen. Ich hörte sie atmen, ich fühlte die aufdringliche Nähe ihrer Körper, den Geruch von verdunstetem Alkohol, der durch die Poren abgesondert wurde, aber ich konnte mit meinem Blick nicht ablesen, was sie dachten. Und keiner sagte etwas. Keiner von ihnen äußerte auch nur ein Wort, nachdem Henrik seinen Vorschlag gemacht hatte. Es vergingen zehn, fünfzehn Sekunden, das Schaukeln des Bootes hatte fast ganz aufgehört, ich fragte mich, ob es vielleicht daran lag, dass wir uns nah am Land befanden, in einer Bucht oder so, es hatte fast den Anschein. Ich dachte an Doktor L und daran, wie viel Geld ich noch in meiner Reisekasse hatte.
    »All right«, sagte ich dann. »Ich nehme an, dass ich keine andere Wahl habe.«
    Als wir bis auf ein paar hundert Meter ans Land getrieben worden waren – soweit das zu beurteilen war, handelte es sich um eine kleine, runde Bucht mit nur wenigen Lichtern –, bekam Gunnar unvermutet den Motor in Gang. Das weckte natürlich eine gewisse Begeisterung, aber der tote Mädchenkörper, der jetzt in zwei Badelaken gewickelt war, legte ebenso natürlich einen Dämpfer auf die Freude. Erik und Henrik fragten mich, ob ich an Land gehen und sie irgendwo an dieser unbekannten Küste begraben wollte, aber ich lehnte den Vorschlag augenblicklich ab. Erklärte, dass ich einen Spaten brauchte und es vorzog, einen Platz irgendwo in den Feuchtgebieten zwischen Mousterlin und Beg-Meil zu suchen. Henrik fand das einen guten Vorschlag und bot mir eine Zigarette an. Ich war kein Gewohnheitsraucher, nahm sie aber, da mir klar war, dass es sich um eine Art Versöhnungsgeste und ein Zugeständnis handelte. Zu dieser Zeit war es fast halb zwölf, und wir tasteten uns langsam die Küste entlang, nie mehr als fünfzig, hundert Meter vom Land entfernt, falls der Motor wieder ersterben sollte. Und um nicht die Orientierung zu verlieren, natürlich. Nach ungefähr einer Viertelstunde und nachdem wir ein paar Halbinseln umrundet hatten, die letzte schien Cap Coz zu sein, bekamen wir den Leuchtturm von Beg-Meil ins Blickfeld. Wir passierten ihn genau in dem Moment, als der Mond zum ersten Mal durch die Wolkendekke brach, und wir, die wir uns oben in der Plicht befanden – Katarina, Gunnar und ich –, konnten für einen Moment unsere Gesichter sehen. Aber keiner von uns machte wirklich von dieser Möglichkeit Gebrauch, stattdessen schlugen wir den Blick nieder, und nach kurzer Zeit verschwand der Mond wieder hinter dunklen Wolken.
    Etwas später umrundeten wir die Mousterlinspitze – der Strand im Westen lag vollkommen im Dunkel, wir halfen einander, die Taschen, Tüten und leeren Flaschen an Land zu bekommen, als Letztes hievten Gunnar und Henrik Troaës Körper über Bord, und ich bugsierte sie langsam die letzten dreißig Meter ans Land. Gunnar und Henrik winkten zum Abschied, wendeten dann nach Osten, um das Boot zurück in den Yachthafen von Beg-Meil zu bringen. Ob sie den Besitzer mitten in der Nacht wecken und ihm von dem kaputten Motor erzäh len wollten, das weiß ich nicht. Vielleicht hatten sie ja auch verabredet, den Schlüssel am folgenden Tag abzuliefern.
    Am Strand versammelten wir anderen uns für einen Moment um das tote Mädchen. Die Dunkelheit war dicht, fühlte sich fast wie ein Kleidungsstück auf der Haut an, der Wind war jetzt vollkommen abgeflaut, und es war kein Mond zu sehen. Die einzigen Lichter, das waren ein paar kleine Punkte zwischen den Bäumen ein Stück gen Osten, ich ging davon aus, dass es sich um das Hotel an der Spitze der Landzunge handeln musste, Pointe de Mousterlin.
    »Was willst du machen?«, fragte Katarina Malmgren.
    Ich antwortete, dass ich sie erst einmal in den Dünen verstecken würde, während ich den Weg zu Eriks Haus suchen wollte, um dort einen Spaten zu holen.
    »Du könntest eigentlich einen von uns leihen«, bot Katarina an. »Aber ich weiß nicht, ob wir einen haben, und vielleicht wäre es dumm, wenn wir da mit reingezogen werden.«
    »Sehr dumm«, sagte ich.
    Erik sagte nichts. Anna sagte nichts.
    »Na gut«, meinte ich und hob das Mädchen hoch. Sie war nicht schwer, irgendwo

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