Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
dessen Rücken ein schmaler Schlitz verläuft. Die Flanken der Trommel sind unterschiedlich dick, so dass ein geübter Trommler mit einem traditionellen Schlägel mindestens zwei Töne und vier unterschiedliche Tonhöhen erzeugen kann. Sie besteht aus einem einzigen Stück rötlichen afrikanischen Korallenholzes, einem besonders festen Hartholz, das man in den bewaldeten Gegenden Zentralafrikas findet und das besonders gern für Trommeln verwendet wird, weil es wiederholtes Draufschlagen problemlos aushält, einen konstanten Ton bewahrt und Termiten widersteht.
Die Hauptfunktion der Trommel bestand darin, Musik zu machen und damit Gemeinschaftsereignisse wie Geburten, Todesfälle und Feste zu markieren. Europäer gaben diesen Schlitztrommeln die Bezeichnung «talking drums», weil man mit ihnen bei Ritualen und Zeremonien zu Menschen «sprach» und auch Botschaften über weite Entfernungen übermittelte – ihr Klang war kilometerweit zu hören –, um die Männer zur Jagd oder zu einem Kriegszug zusammenzurufen.
Ende des 19. Jahrhunderts war der Sudan eine Gesellschaft in Gefahr. Europäische und nahöstliche Mächte waren in Zentralafrika schon seit langem präsent, angelockt von der dortigen Fülle an Elfenbein und Sklaven. Seit Jahrhunderten hatte man Menschen aus dem Südsudan und aus Zentralafrika versklavt, in den Norden nach Ägypten gebracht und dann ins Osmanische Reich weiterverkauft; in Zentralafrika kollaborierten viele Stammesführer mit den Sklavenhändlern, um gemeinsam mit ihnen Raubzüge gegen ihre Feinde zu unternehmen; die Gefangenen verkaufte man, und die Erlöse wurden geteilt. Diese Entwicklung verstärkte sich, als die Ägypter in den 1820er Jahren die Kontrolle über den Sudan übernahmen; Sklavenjagd und Sklavenhandel wurden zu einem der profitabelsten und einflussreichsten Geschäftsfelder in dieser Region. Diese «Branche» wurde von der ägyptischen Regierung in Khartum zentral gesteuert, und Ende des 19. Jahrhunderts war die Stadt zum größten Sklavenmarkt der Welt geworden, der den gesamten Nahen und Mittleren Osten mit «Ware» versorgte. Der Autor Dominic Green schildert die damalige Situation:
«Die Ägypter hatten ein umfassendes Imperium des Sklavenhandels aufgebaut, das sich vom vierten Nilkatarakt bis zu den nördlichen Ufern des Viktoriasees erstreckte. Dabei waren sie auch von europäischen Regierungen unterstützt worden, denen es offenbar darum ging, im Gegenzug an Elfenbein zu kommen, denen jedoch auch der humanitäre Aspekt am Herzen lag. Die ägyptischen Khediven, die Herrscher des Landes, spielten ein doppeltes Spiel: Einerseits unterzeichneten sie Konventionen gegen die Sklaverei, die ihnen von den Europäern aufgenötigt wurden, und anschließend machten sie andererseits einfach damit weiter, mit dem Sklavenhandel Geld zu verdienen.»
Die Trommel, die möglicherweise von Sklavenjägern erbeutet wurde oder das Geschenk eines lokalen Stammesführers war, kam mit Sicherheit im Zuge dieses Handels nach Khartum. Sobald sie dort angekommen war, begann ein neues Kapitel in ihrem Leben; sie wurde so umfunktioniert, dass sie einen Platz in der dortigen islamischen Gesellschaft einnahm. Wir erkennen das, wenn wir ihre Seiten betrachten: Auf beiden Flanken ist ein langes Rechteck zu erkennen, das fast die gesamte Länge des Körpers einnimmt und Kreise sowie geometrische Muster enthält – eindeutig islamischer Provenienz und von den neuen Besitzern hinzugefügt als Schutz vor dem bösen Blick. Auf der einen Seite sind die Muster ins Holz eingeritzt, während auf der anderen Seite das Holz abgehobelt wurde, so dass die Verzierung reliefartig hervorsteht. Dieses «Dünnerwerden» dürfte den Klang der Trommel grundlegend verändert haben – ein Beleg dafür, dass sie zwar möglicherweise nach wie vor für ihren ursprünglichen Zweck des Musizierens oder Mobilisierens verwendet wurde, nun aber mit einer ganz anderen Stimme. Ein Musikinstrument war zu einer Trophäe geworden, und die neuen Verzierungen waren in Wirklichkeit ein Markenzeichen, eine Bestätigung der politischen Dominanz des Nordens über Zentralafrika und der Bindung an den Islam.
Die Trommel war in einem entscheidenden Augenblick der sudanesischen Geschichte nach Khartum gelangt. Die ägyptische Besatzung hatte zahlreiche Facetten europäischer Technologie und Modernisierung mitgebracht, und dagegen erhob sich eine neue Art von im Wesentlichen islamischem Widerstand. Ägypten gehörte damals formal zum
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