Zeit der Sternschnuppen
Verlag Das Neue Berlin
1. Auflage dieser Ausgabe
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin • 1981 (1972) Lizenz-Nr.: 409-160/139/81 • LSV 7004
Umschlagentwurf: Schulz/Labowski Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung:
Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden 622 501 0
DDR 6,30 M
Immer, wenn im Juli und August am Nachthimmel Sternschnuppen aufleuchten, erinnert sich Hans Weyden an das Abenteuer seines Lebens.
Sie hieß Aul, hatte langes schwarzes Haar und trug zu jeder Stunde ein enganliegendes Trikot, denn auf dem sechsten Jupitermond, wo sie sich mit ihrem Vater aufhielt, gibt es keine Jahreszeiten und keine Mode. Hans Weyden war in ihrem Leben der erste Mann – und voraussichtlich auch der letzte. Aber bevor es zu einem herzzerreißenden Abschied kommt, nehmen wir zusammen mit Hans Weyden und dem Dackel Waldi Kurs auf den Jupiter und betreten eine wunderliche Welt, in der unvorstellbare Zukunft und längst vermoderte Vergangenheit eine seltsame Ehe miteinander eingegangen sind. Ahnungsvoll begleiten wir Weyden bei seiner Rückkehr zur Erde und wünschen ihm, er möge sich der unabwendbar auf ihn zukommenden Entscheidung gewachsen zeigen.
MEINER FRAU gewidmet
Es ist wohl zu allen Zeiten ein Wagnis gewesen, den Ablauf von phantastischen, ja unglaubwürdigen Ereignissen beschreiben zu wollen, für die es keine Zeugen gibt und die jenseits aller menschlichen Erfahrungen liegen. Anhaltspunkt für die rätselhaften Vorgänge waren ein paar Tagebuchnotizen, die mir der Grafiker Hans Weyden zur Verfügung stellte. Was mir später noch an mündlichen Aussagen überliefert wurde, verdanke ich Frau Johanna Weyden, dem Oberleutnant der Kripo, Eichstätt, und schließlich dem Neurologen und Psychiater, Herrn Professor Grasmais. Letzterer zeigte sich bei unserer Unterredung sonderbar zurückhaltend, obwohl gerade er den Fall Weyden am besten kennen mußte.
Nicht zuletzt aber war es Hans Weyden selbst, der mir seine angeblichen Erlebnisse recht lebhaft und anschaulich geschildert und mich ermutigt hatte, sie zu Papier zu bringen. Dennoch habe ich lange gezögert; seine Erinnerungen lagen Monate auf meinem Schreibtisch. Den letzten Anstoß zu meinem Versuch, Weydens Abenteuer im geordneten Nacheinander darzustellen, gab eine Notiz in seinem Tagebuch. Dort heißt es an einer Stelle: »… Einen Wahn verlieren macht weiser als eine Wahrheit finden. Ich bin entschlossen, alles Vergangene abzuschütteln… Habe Regina davon erzählt. Sie meinte nur tiefsinnig: Ob ausgedacht oder wahr, mitunter sind Geschichten so schön, daß der Unterschied nicht auffällt…«
Mag dieser Weyden, der uns von nun an beschäftigen wird, ein Phantast sein. Es finden sich jedoch in seinen Schilderungen Überlegungen, die nachdenklich stimmen. Erdacht oder wirklich erlebt, diese Frage muß sich jeder selbst beantworten. Jedenfalls sollte uns das »Es könnte so gewesen sein« in unserer Beurteilung vorsichtig machen. Was ist morgen noch Utopie? Selbst Skeptiker wagen das Wort »unmöglich« nur noch zu flüstern. Wissenschaft und Phantasie sind in den letzten Jahren in einen Wettlauf getreten. Noch ist nicht entschieden, wer diesen Wettlauf gewinnen wird.
Folgen wir deshalb der ersten Spur unseres Zeitgenossen Hans Weyden nach Möglichkeit ohne Vorurteil. Vor uns, jenseits der ausgetretenen Pfade, liegt ein weiter Weg.
Diese erste Spur führt uns in einer frostklaren Nacht nach Berlin. Auf den Dächern der Stadt, auf Bäumen und Straßen liegt trockener Schnee. In normalen Nächten schlafen um diese Zeit Menschen und Tiere. Diese Nacht aber ist anders. Zwei Stunden zuvor wurde das letzte Kalenderblatt des alten Jahres abgerissen, das neue Jahr nach altem Brauch mit Feuerwerk begrüßt. Viele Fenster sind noch erleuchtet, Musik dringt aus Wohnungen und Gaststätten. Auf den Straßen streben die ersten Heimkehrer den Bahnhöfen zu. Die meisten sind in animierter Stimmung, manche mit närrischem Putz behangen.
Der junge Mann, der in dieser Silvesternacht, aus einer Seitengasse kommend, in die Frankfurter Allee einbiegt, gehört gewiß nicht zu den Menschen, die den Jahreswechsel in besonders vergnüglicher Stimmung verbracht haben. Sein Gesicht, von dem hochgeklappten Pelzkragen des Wintermantels umrandet, hat einen verdrießlichen Ausdruck. Er hat es eilig, verschwendet keinen Blick an seine frohgestimmten Mitbürger. Als eine Gruppe fröhlicher junger Burschen und Mädchen sich mit ihm fraternisieren will,
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