Eine große Zeit
einprägen, aber zu Alexander Pope finde ich keinen Zugang – anders als zu Keats oder Tennyson, meinem Lieblingsdichter. Auf den langgezogenen Blumenrabatten tummeln sich die Gärtner und Aushilfsburschen, sie jäten Unkraut und grüßen mich, während ich vorbeigehe: »Guten Tag, Master Lysander.« Ich grüße zurück – inzwischen kenne ich sie fast alle. Old Digby, den Chefgärtner, Davy Bledlow und seinen Sohn Tommy. Tommy ist ein paar Jahre älter als ich und hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm auf Hasenjagd zu gehen. Er besitzt ein preisgekröntes Frettchen namens Ruby. Ich sagte: nein danke. Ich habe keine Lust, Hasen zu jagen und zu töten – das finde ich grausam. Tommy Bledlow ist ein großer Kerl mit eingedrückter Nase, die ihn ziemlich seltsam aussehen lässt – wie einen bedrohlichen Clown. Ich verlasse den umfriedeten Garten und steige über den Zauntritt in den Wald von Claverleigh.
Die Sonne dringt durch das frische grüne Blattwerk der uralten Eichen und Buchen. Ich entdecke ein moosbewachsenes Eckchen zwischen zwei knorrigen Brettwurzeln einer großen Eiche. Ich strecke mich auf einem sonnenbeschienenen Fleck aus und genieße die Wärme auf der Haut. Es weht eine ganz leichte Brise. In der Ferne höre ich einen Zug die Strecke Lewes-Pevensey entlangtuckern. Vogelgesang – eine Drossel, glaube ich, eine Schwarzdrossel. Es herrscht himmlischer Frieden. Ein warmer Sommertag in Südengland zu Beginn des neuen Jahrhunderts.
Ich schlage das Buch auf und fange an zu lesen, versuche, mich zu konzentrieren. Ich unterbreche meine Lektüre, um Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Ich strecke die Zehen und lese weiter.
Durch weißen Mull traf scheu ein Sonnenstrahl
Das Auge, das sein leuchtender Rival.
Im London der Rokokozeit liegt eine schöne junge Frau im Bett, bald wird sie aufwachen, sich ankleiden und ihr gesellschaftliches Leben aufnehmen – das ist so weit ersichtlich. Ich lehne mich zurück, so dass ich mit dem Kopf im Schatten liege und mit dem Körper in der Sonne.
Mit Himmelsbrust und goldener Kronen Glast
Von wegen »Brust«, fällt mir dann auf, da steht »Blust«. Himmelsblust . Warum habe ich mich verlesen? Immerhin ruht Belinda, die Heldin, noch auf ihrem weichen Lager, leicht bekleidet, wer weiß, was da hervorblitzt – ich blättere um.
Was wahrt beim Maskenfest, bei Hof, beim Tanz
Der hingeschmolzenen Jungfrau ihren Kranz
Warum »hingeschmolzen«? Da fällt mir die Küchenmagd ein – heißt sie nicht auch Belinda? – , die große mit den kecken Augen. Ihre Brust verheißt auf jeden Fall weiche Ruh . Ich weiß noch, einmal habe ich sie an der Feuerstelle knien sehen, mit hochgekrempelten Ärmeln und aufgeknöpfter Bluse, die Hitze war fast unerträglich. Aber was hat der Kranz damit zu tun? Ich ahne dunkel, was …
Mein Penis regt sich unter dem Hosenstoff, ein angenehmes Gefühl. Die Sonne wärmt mir den Schoß. Ich sehe mich um – weit und breit keine Menschenseele. Ich öffne Gürtel und Hosenknöpfe, ziehe Hose und Unterhose bis zu den Knien hinunter. Die Sonne ist wie Balsam. Ich streichle mich.
Ich denke an Belinda – die Küchenmagd. Stelle mir kissenweiche Brüste vor, stelle mir vor, wie wir in der Hitze dahinschmelzen. Ich packe fester zu. Bewege langsam die Faust auf und nieder …
Als Nächstes erinnere ich mich an die Stimme meiner Mutter, die nach mir ruft.
»Lysander? Lysander, mein Schatz … «
Ich träume. Und dann wird mir bewusst, dass das kein Traum ist. Ich wache mühsam auf, als wäre ich betäubt worden. Ich öffne die Augen, blinzle und sehe die Silhouette meiner Mutter im Gegenlicht. Meine Mutter steht da und sieht auf mich herunter. Sie wirkt sehr verstört.
»Lysander, mein Schatz, was ist passiert?«
»Was?« Ich schlafe noch immer halb. Meine Augen folgen ihrem Blick: Hose und Unterhose bauschen sich um meine Knie, ich sehe meinen schlaffen Penis und das kleine, dunkle Haarbüschel darüber.
Ich ziehe die Hosen hoch, rolle mich zu einer Kugel zusammen und fange hemmungslos zu weinen an.
»Was ist denn passiert, mein Schatz?«
»Tommy Bledlow«, schluchze ich aus unerfindlichen Gründen. »Tommy Bledlow hat mir das angetan.«
10. Auf merkwürdige Art auserwählt
Lysander hörte auf vorzulesen. Im Rückblick brannte er vor Scham, wie knochentrockenes Feuerholz, lodernd und prasselnd vor Hitze. Sein Mund war ausgedörrt. Komm schon, sei erwachsen, dachte er, du bist siebenundzwanzig – das ist Schnee von vorgestern.
Er
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