Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
Vom Netzwerk:
Übermaß vertreten – man denke nur an die Akte, die seit jeher gemalt wurden, die unbekleideten Statuen in öffentlichen Parks, Michelangelos David, die unzähligen Venusbilder und Götter und Gladiatoren mit entblößtem Hintern. Er atmete tief ein und ließ seine Finger leicht über die Oberschenkel streifen. Entspann dich, entspann dich, entspann dich.
    »Könnten Sie die Hände in die Hüften stemmen?«
    Das tat er und kniff dabei unwillkürlich die Pobacken zusammen, plötzlich von der Vorstellung ernüchtert, dass Udo Hoff sein Atelier verlassen und das Feld durchqueren könnte, um bei seiner Geliebten nach dem Rechten zu sehen … Daran darfst du gar nicht denken. Lass dir eine Parallelwelt einfallen, deine Parallelwelt … Er blendete sämtliche Gedanken aus.
    Er hörte die Sesselbeine kurz über den Boden schleifen und das Klappern von Miss Bulls Holzschuhen – sie ging weg und kam wieder.
    »Wollen wir eine Pause machen?«, fragte sie. »Sie haben sich ein weiteres Glas Madeira verdient.«
    Nun konnte er sie ansehen. Da stand sie und reichte ihm lächelnd das Glas. Er bückte sich nach dem Handtuch, hielt es sich locker vor und stieg vom Podest, um ihr das Glas abzunehmen. Erst dann fiel ihm auf, dass er sich das Handtuch nicht umbinden konnte, weil er keine Hand mehr frei hatte – ach, was soll’s, dachte er. Er genoss die Situation – sie hätten ebenso gut am Tresen eines Cafés stehen und miteinander plaudern können. Miss Bull wirkte völlig gelassen. Für sie war es natürlich nur eine von vielen Aktklassen.
    »Sie haben schön stillgehalten.«
    »Danke.«
    »Als wäre es nicht das erste Mal.«
    »Ist es aber. Definitiv.« Er nahm einen großen Schluck Madeira und dann gleich den nächsten – zu süß für seinen Geschmack, aber er brauchte jetzt eine kleine Stärkung.
    »Möchten Sie sehen, was ich gemacht habe?« Miss Bull hielt ihm mit einem eigentümlichen Lächeln den Skizzenblock hin. Es kam ihm so absurd wie selbstverständlich vor, dass er sich nackt in diesem Raum befand, mit nichts als einem Handtuch, um »seine Blöße zu bedecken«, wie es so schön hieß, keinen Meter entfernt von einer jungen Frau, die mit Muselinbluse, Sergerock und Holzschuhen vollständig bekleidet war. Sie nahm ihm das Glas ab und drückte ihm den Block in die Hand.
    Lysander betrachtete die Zeichnung. Sehr plastisch und detailliert, sie hatte die Kohle mit den Fingerspitzen verrieben, um Schattierungen zu erzeugen. Eine kraftvolle, sichere Hand, eine hervorragende Zeichnerin. Es schnürte ihm die Kehle zu, und ein Schauer lief ihm über den Rücken.
    Er räusperte sich. »Wie würden Sie das bezeichnen? Als ›Männliche Genitalstudie‹?«
    »Ihre Vorhaut ist ziemlich kurz, ist mir aufgefallen«, sagte sie in vertraulich leisem Ton. »Zunächst dachte ich, Sie sind beschnitten, wie Udo.« Sie tat einen Schritt auf ihn zu. »Doch bei näherem Hinsehen habe ich festgestellt, dass Sie das nicht sind.«
    »Nein, ich bin nicht beschnitten«, brachte er mühsam hervor, während sich eine Wärmewelle über seine Brust ausbreitete – erst jetzt zeigte der Madeira Wirkung. Sein Penis regte sich und schwoll an, als reagierte er bewusst auf den Umstand, dass von ihm die Rede war.
    Miss Bull senkte den Blick unterhalb seiner Gürtellinie und schob das herabhängende Handtuch beiseite.
    »Wenn überhaupt, würde ich das als männliche Genitalstudie bezeichnen«, sagte sie. Mit der freien Hand fuhr sie ihm sanft über den Rücken, was ihn erschauern ließ. Ihre Fingerspitzen strichen über seinen Hintern.
    »Wollen wir ins Bett gehen?«, fragte sie, an ihn gelehnt, mit lächelnd erhobenem Kopf, die großen braungrünen Augen von Lachen erfüllt.

16. Ein teuflischer Plan
    Dr. Bensimon sah Lysander zweifelnd an.
    »Nun, das erscheint mir mehr als außergewöhnlich.«
    »Ich weiß«, räumte Lysander ein und schüttelte den Kopf, nicht minder ratlos.
    »Und alles hat funktioniert?«
    »Völlig problemlos. Ganz normal. Ich habe es sogar wiederholt – nur um mir zu beweisen, dass das kein bloßer Zufall war.«
    »Zwei Mal?«
    »Binnen vierzig Minuten, so in etwa.«
    Lysander dachte daran zurück – zwei Tage nach dem Ereignis war er immer noch verwirrt und verwundert. Sie waren in die kleine Schlafkammer gegangen und wurden dann von einem Strudel erfasst, seine Kleider wirbelten von der Wolldecke hinunter, Miss Bull riss sich Bluse, Rock, Mieder, Unterrock und Schlüpfer vom Leib, dann fanden sie sich im Eisenbett wieder,

Weitere Kostenlose Bücher