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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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Noch 12 Tage, 2 Stunden, 14 Minuten, 38 Sekunden
    Kluftinger keuchte. Im Augenwinkel sah er die beiden Männer, die sich die Böschung hinunter zu dem kleinen Kahn am Ufer kämpften. Er blickte ihnen nach. Das Bild, das er sah, rief Erinnerungen in ihm wach, an die er lieber nicht rühren wollte. Das Wasser, das Boot … er kniff die Augen zusammen, ganz als könnte er so die Bilder verjagen. Als er die Augen wieder öffnete, hatten die beiden Männer den Kahn bereits vom Ufer abgestoßen. Das Hemd des einen war übersät von blutroten Flecken; in der rechten Hand hielt er ein Beil. Von dessen Schneide tropfte es ebenfalls rot. Jetzt hatte sich der Ältere, ein bulliger Typ mit dichtem, schwarzen Bart, ins Boot gesetzt und die Ruder ergriffen. Als er sich noch einmal umdrehte, flackerte Panik in seinen Augen auf, dann ruderte er mit aller Kraft los.
    »Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte«, schrie er ihnen noch hinterher, dann begann auch er zu keuchen.
    Schweiß rann Kluftinger von der Stirn. Er wischte mit dem Handrücken über seine brennenden Augen. Da hörte er es hinter sich krachen und poltern. Blitzschnell drehte er sich um. Die Gestalten, die ihm gegenüberstanden, waren pechschwarz gekleidet und bis auf die Zähne bewaffnet.
    »Den Mörder …«, zischte einer von ihnen, »… gebt ihn heraus.«
    Dann presste er einen Fluch hervor. Er ließ seine Hand sinken, griff an seinen Gürtel und zog ein riesiges Messer. Damit fuchtelte er vor Kluftingers Gesicht herum.
    Sie sahen sich eine Weile starr in die Augen, keiner sagte etwas. Nur ihr Keuchen war zu hören, bis …
    »Die rote Sonne von Barbados, für dich und mich scheint sie immer noch …« Die Melodie platzte wie ein Kanonenschlag in die Stille.
    Irritiert blickten die Männer sich um und suchten die Quelle des Geräusches.
    »… nur du und ich im Palmenhain, leise Musik und roter Wein …«
    Kluftingers Gesicht lief knallrot an. Er ließ seine Hand sinken, umfasste den Lederbeutel an seinem Gürtel, und die Melodie verstummte. Keine zwei Sekunden später zerriss ein spitzer Schrei die Stille: »Wer war das?« Die durchdringende Stimme schien überall zu sein, ihr Ursprung war nicht zu lokalisieren.
    »Wer? War? Das?« Beim letzten Wort überschlug sich die Stimme und ging in ein hysterisches Kreischen über. Dann hallten Schritte durch die Abenddämmerung.
    Kluftinger sah sein Gegenüber an. Der schwarz gekleidete Mann zuckte mit den Schultern und steckte sein Messer weg. Sie wussten beide nur zu gut, was nun folgen würde.
    »Was glaubt ihr eigentlich, wo wir hier sind?«, schrie der spindeldürre Mann, der mit wehenden Haaren auf sie zu rannte. Obwohl er noch gut fünfzig Meter von ihnen entfernt war, war seine Stimme ganz nah und dröhnte in ihren Ohren, verstärkt durch den Hall, den die riesigen Lautsprecher rechts und links von ihnen erzeugten. Dann hatte er sie erreicht.
    »Ich will jetzt sofort wissen, wer das war«, brüllte er noch einmal in sein Mikrofon.
    Kluftinger zeigte auf das kleine schwarze Kästchen, das an seinem Gürtel befestigt war. »Das können Sie jetzt ruhig ausschalten«, schlug er vor.
    »Ich schalte und walte hier, wie ich will«, rief der Mann und fuchtelte dabei aufgeregt mit den Armen herum. »Und ich will jetzt endlich wissen, wessen Handy da eben geklingelt hat!«
    Betretenes Schweigen.
    »Hören Sie, meine Herren«, brachte der Mann mit bebender Stimme hervor, »wir sind hier nicht zum Rumtollen. Das ist kein Spielplatz für Erwachsene, verstehen Sie das? Das ist Theater. Großes Theater, um genau zu sein. Und das können Sie ruhig wörtlich nehmen.« Mit einer ausladenden Handbewegung zeigte er auf die riesige Freilichtbühne um sie herum. »Wir proben hier einen Klassiker der deutschen Literatur. Schiller hat mit diesem Wilhelm Tell zu einer Zeit Genialität bewiesen, als man hier im Allgäu wahrscheinlich noch mit Fellen und Keulen durch die Gegend rannte und Jagd auf frei laufende Kühe machte.«
    »Also, jetzt aber wirklich, Herr Frank …«, versuchte Kluftingers Nebenmann den Wütenden zu beschwichtigen.
    »Nichts aber wirklich!«, wischte der den Einwand mit einer fahrigen Geste beiseite. »Sie wussten alle, worauf Sie sich einlassen.«
    Kluftinger rollte die Augen, seufzte und flüsterte dem Schwarzgekleideten mit dem Messer ein »Lass gut sein, Hans« zu.
    »Nein, nichts ist gut. Hier, Herr … Hans«, sagte Frank und wedelte dabei mit dem Textbuch vor der Nase des auf einmal schuldbewusst

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