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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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das zweite Mal mehr als zufriedenstellend), und fand darin eine offizielle Rechnung des Außenministeriums, in der sämtliche Posten aufgeführt waren, die ich der Regierung Seiner Majestät schuldete. Die verwirkte Kaution von 10000 Kronen schlug mit 475 Pfund zu Buche. Die Spesen und Anwaltskosten von Herrn Feuerstein beliefen sich auf astronomische 350 Pfund, während die Ausgaben für Verpflegung, Getränke und Wäscherei nicht minder absurde 35 Pfund betrugen. Immerhin wurde mir für das Logis im Gartenhaus nichts berechnet, wie ich erleichtert feststellte. Gesamtkosten: 860 Pfund. Ich musste lachen. »Bitte überweisen Sie die Summe so bald wie möglich.« Als Mitglied der Internationalen Theatertruppe verdiene ich pro Woche 8 Pfund 10 Shilling. Meine Ersparnisse wurden vom langen Wienaufenthalt so gut wie komplett aufgebraucht. Ich schulde meiner Mutter über 100 Pfund. Meine Fixkosten (Miete, Kleidung, Nahrung etc.) sind beträchtlich. Grob überschlagen dürfte ich diese Schulden im Laufe von fünf Jahren begleichen, also bis1919 , immer vorausgesetzt, ich kann volle 52 Wochen im Jahr arbeiten (welcher Schauspieler kann das schon?). Außerdem beträgt der Zinzeszins pro Jahr fünf Prozent. Ich habe die Rechnung zerrissen.
    Auch wenn ich Munro und Fyfe-Miller zutiefst dankbar bin, weil sie mir unerlässliche Fluchthilfe geleistet haben, wirkt das Ganze von einem durchaus nicht unvoreingenommenen Standpunkt aus – nämlich meinem – wie eine ausgeklügelte Masche, um Geld für das Außenministerium aufzutreiben. Ich könnte fast mein ganzes Leben damit zubringen, diesen Betrag abzustottern.
    Heute Morgen Probe für Fräulein Julie. Anders als Gilda habe ich keine Schwierigkeiten damit, mir den Text zu merken. Die zwei Sprachuniversen – Shakespeare und Strindberg – unterscheiden sich auf ideale Weise voneinander, es ist, als besetzten die auswendig gelernten Zeilen jeweils andere Teile meines Gehirns. Gilda hingegen muss immer noch aus ihrem Rollenbuch ablesen, was Rutherford zutiefst verärgert. Heute Morgen hat er sich derart aufgeregt, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre. Als ich sie tröstete, konnten wir uns verstohlen einen Kuss geben – mehr war uns seit der ersten Nacht (und dem ersten Morgen) nach der Premierenfeier nicht vergönnt. Allerdings zeigt sie sich mir gegenüber kühler als vorher, als bereute sie schon, sich mit mir eingelassen zu haben. Sie ist zwar freundlich, nach der Vorstellung aber immer anderweitig beschäftigt. Eine kranke Mutter, Freunde, die zu Besuch in London sind – stets hat sie eine gute Ausrede parat.
    Rutherford will, dass wir nach dem Tanzspiel beide mit verrutschten Kleidern und Stroh im Haar auf die Bühne zurückkehren. Er hat sogar vorgeschlagen, dass ich dabei meinen Hosenschlitz zuknöpfe. Gilda lehnt das als viel zu unschicklich ab, doch Rutherford ist so hartnäckig, dass uns noch erbitterte Kämpfe bevorstehen. Offenbar ist er wild entschlossen, die Inszenierung binnen vierundzwanzig Stunden absetzen zu lassen.
    Merkwürdiger Traum von Hettie. Ich zeichnete sie – sie stand mir nackt Modell – in der Scheune. Da klopfte es an der Tür, und wir duckten uns beide, im Glauben, es sei Hoff. Aber dann trat mein Vater ein.
    Beim Warten auf die U-Bahn am Leicester Square habe ich folgende Unterhaltung mit angehört. Zwei Frauen (arm, Arbeiterklasse), die eine Anfang, Mitte zwanzig, die andere um einiges jünger, vielleicht sechzehn.
    FRAU: Ich hab sie gesehen, erst am Haymarket, später in den Burlington Arcades.
    MÄDCHEN: Mir hat sie gesagt, sie arbeitet als Putzmacherin in Mayfair.
    FRAU: Die macht bestimmt keinen Putz, so angemalt wie die war.
    MÄDCHEN: Sie hat Kummer, hat sie gesagt. Darum trinkt sie so viel.
    FRAU: Kummer hab ich auch. Haben wir alle. Aber wir führen uns deswegen noch lange nicht so auf.
    MÄDCHEN: Als Zofe hätte sie auch arbeiten können, hat sie gemeint. Für fünf Pfund das Jahr plus Fressalien. So verdient sie fünf Pfund die Woche, sagt sie.
    FRAU: Ich wette, sie wird noch in der Gosse enden. Wie kann sie nur. Sich für ein paar Pennies an einen Schuhwichser verkaufen.
    MÄDCHEN: Sie hat eine gute Seele, Lizzie.
    FRAU: Sie ist halb irre und zu drei Vierteln besoffen.
    Möglicherweise ein gefundenes Fressen für Herrn Strindberg, wenn er noch unter uns weilte. Der Strom der Lust ist in London nicht minder reißend als in Wien.
    5. August. Nach Mitternacht sei die Kriegserklärung an Deutschland erfolgt, erzählte Greville,

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