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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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roséfarbenen, fast unsichtbaren Warzen nisteten. Sommersprossen sprenkelten Schultern und Rücken, und hier und da – auf Rippen, Oberarmen und -schenkeln – fanden sich stecknadelkleine Leberflecke in unterschiedlich dichten Konstellationen, wie braune Farbspritzer. Als hätten ihre Pigmente ein bisschen verrückt gespielt, so wirkten die Sommersprossen wie winzige ausgeblichene Tätowierungen. Als Gilda sich ausgezogen hatte, wusste Lysander nicht recht, wie er auf ihre durchscheinende Blässe reagieren würde, aber dann fand er diese weiße Haut mit den hellbraunen Tupfen äußerst verführerisch.
    Da er darauf bestanden hatte, ein Kondom zu verwenden, bestand sie darauf, es ihm überzustreifen. Damit war der heitere Ton gesetzt, der ihre gemeinsame Nacht prägte – »Passt wie angewachsen, Sir«, sagte sie mit ihrem Cockney-Akzent – , und sie alberten unaufhörlich weiter.
    »Mir gefallen deine Flecken«, sagte Lysander, als sie die Beine für ihn spreizte. »Wie bei einer Banane, die zu lange in der Schale gelegen hat – oder einem dieser Meerestiere.«
    »Danke für die Blumen.«
    »Eigentlich müsste ich daraus die Zukunft ablesen können wie aus Teeblättern.«
    »Sehr witzig. Eigentlich möchte ich mir die Flecken wegmachen lassen.«
    »Bloß nicht. Du bist einzigartig. Wie ein Wachtelei.«
    »Was für reizende Komplimente. Meerestier, Wachtelei. Du bist ja der geborene Charmeur, Mr Rief … «
    Er kam tatsächlich zum Höhepunkt – der ihm eine ungeheure Lust bescherte – , aber es blieb bei diesem einen Mal. Es war schon spät, und sie waren müde, wie sie beide einräumten, kein Wunder, nach Premiere und Party. Vielleicht am Morgen.
    Und nun schlief sie in seinem Bett, während er sich ankleidete, eine lange weiße Lende war entblößt, das zerknitterte Laken bedeckte nur knapp den klar konturierten Rand ihres goldenen Schamdreiecks. Fräulein Julie … Tja. Er band sich eine Krawatte um und zog eine Jacke über. In der Küche gab es weder Milch noch Tee, Kaffee, Zucker, Brot oder Butter – nur ein Glas Marmelade. Er wollte rasch ein paar Lebensmittel besorgen. Danach könnten sie im Bett frühstücken und sehen, was sich daraus ergeben würde. Rutherford erwartete sie erst am Nachmittag wieder im Theater.
    Lysander schritt über Gildas Sachen hinweg, die unordentlich auf einem Haufen lagen – Rock, Bluse, Unterkleid, Korsett, Leibchen, Schlüpfer, Seidenstrümpfe, Schuhe – und trat leise aus dem Zimmer. Beschwingt ging er die Treppe hinunter. Unter Umständen würde sich eine flüchtige Affäre mit Gilda doch nicht als Desaster entpuppen, dachte er. Vielleicht würde das sogar Blanches Eifersucht wecken, wenn die Leute darüber tuschelten.
    Vom Chandos Place würde er nach Covent Garden laufen, das wäre am schnellsten. Er wollte für Gilda Blumen kaufen.
    Jack Fyfe-Miller kam in Marineuniform über die Straße auf ihn zu.
    »Rief! Guten Morgen! Ich wollte Ihnen nur dieses Päckchen in den Briefkasten stecken. Munro legte großen Wert darauf, dass Sie es baldmöglichst erhalten.« Er überreichte ihm einen festen braunen Umschlag.
    »Was ist das?«
    »Eine Überraschung … Sie sehen blendend aus. Ihre Aufführung wurde in der heutigen Mail aber ganz schlecht besprochen. Sie sei ›schockierend‹. Und ›eine groteske Beleidigung des Barden‹.«
    »Wir hatten uns so etwas Ähnliches erhofft.«
    Er hatte das Gefühl, dass Fyfe-Miller ihn durchdringend ansah.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Lysander.
    »Ich dachte nur – das letzte Mal habe ich Sie am Kai von Triest gesehen. Und ich wusste, dass wir uns irgendwann wiederbegegnen würden.«
    »Wie jetzt. Sie und Munro, alle beide, binnen zwölf Stunden. Ist das nicht ein erstaunlicher Zufall?«
    »Ja, nicht wahr?«
    »Fahren Sie jetzt wieder zur See?«
    »O nein. Die komplette britische Flotte wurde an die Kriegsstützpunkte zurückbeordert. Ich breche gleich nach Portsmouth auf.«
    »Kriegsstützpunkte? Wirklich? Heißt das … «
    »Ja. Die Lage ist ziemlich ernst.« Fyfe-Miller salutierte lächelnd. »Wir sehen uns bestimmt bald wieder«, sagte er und kehrte in Richtung Trafalgar Square um.
    Lysander steckte den Umschlag ein und eilte nach Covent Garden, um seine Einkäufe zu erledigen. Er wollte wieder zu Hause sein, wenn Gilda aufwachte.

6. Autobiographische Untersuchungen
    Ich konnte gar nicht fassen, was in dem Umschlag steckte, den Fyfe-Miller mir übergeben hatte. Ich öffnete ihn, als Gilda gegangen war (gegen zehn Uhr – auch

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