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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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als er nach Hause kam. Heute Morgen wollte ich eine Zeitung kaufen, aber sie waren bereits alle vergriffen. Zu unserer Abendvorstellung sind höchstens zwanzig Zuschauer gekommen, dennoch haben wir so viel Elan an den Tag gelegt wie vor einem vollen Haus. Rutherford ist völlig niedergeschlagen – er meint, Ende der Woche dürfte für uns Schluss sein. Und so wird die Welt auf Lysander Rief und Gilda Butterfield in August Strindbergs Fräulein Julie verzichten müssen. Gilda war außer sich. Ich erklärte ihr, die Tatsache, dass deutsche Truppen in Belgien einmarschiert waren und Lüttich angegriffen hatten, ließe unsere schauspielerischen Sorgen und Nöte nichtig erscheinen. »Mir nicht«, fauchte sie. Kurz hatte ich das Gefühl, sie würde mir ins Gesicht schlagen.
    7. August. In der Zeitung stand, dass die HMS Amphion vor Harwich auf eine Mine gelaufen und gesunken ist. Aus unerfindlichen Gründen habe ich mich gefragt, ob die Amphion vielleicht Fyfe-Millers Schiff gewesen sein könnte – und dieser Gedanke machte mir den Krieg plötzlich auf eine Art und Weise bewusst, wie es keine der lauten Schlagzeilen in den vergangenen Tagen vermocht hatte. Indem ich mir vorstellte, wie Fyfe-Miller vor Harwich im Meer ertrunken war, bekam der Krieg ein Gesicht. Es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
    Gestern habe ich für einen neuen Anzug Maß nehmen lassen und meinem Schneider gesagt, dass ich mit Taillenabnähern liebäugle. »Sehr amerikanisch, Sir«, erwiderte Jobling, als wäre das Thema damit vom Tisch. Ich führte an, dass mir das sicher schmeicheln würde. »Als Nächstes werden Sie schräge Eingrifftaschen verlangen«, sagte Jobling kichernd. Das sei gar keine schlechte Idee, entgegnete ich. »Ihr Vater würde sich im Grabe umdrehen, Sir«, konterte er und sprach dann weiter über Umschlagmanschetten und doppelte Kragen. Damit war die Sache erledigt. Meines Vaters Geist bestimmt nach wie vor, was ich anziehen darf.
    Mit der Nachmittagspost kam ein Brief von Hettie. Schweizer Briefmarke.
    Mein lieber Lysander,
    ist das nicht furchtbar? Ich muss die ganze Zeit über diesen grausamen Aberwitz weinen. Warum hat uns Großbritannien nur den Krieg erklärt? Was hat Wien London oder Paris angetan? Udo sagt, es handle sich um eine rein balkanische Angelegenheit, die aber den anderen Ländern als Vorwand dient. Stimmt das?
    Ich habe Angst, entsetzliche Angst, und ich wollte Dir so schnell wie möglich schreiben, um Dir mitzuteilen, was ich in dieser schrecklichen Lage zu tun gedenke. Wie Du Dir vorstellen kannst, stecke ich in einer Zwickmühle. Als britische Untertanin lebe ich in einem Land, das sich mit Großbritannien im Kriegszustand befindet. Udo hat mir angeboten, Lothar zu adoptieren, um ihn zu beschützen und zum Staatsbürger zu machen. Damit wäre der Junge sicher, selbst wenn man mich internieren sollte. Natürlich habe ich zugestimmt. Sobald die Anträge genehmigt sind, wird er Udos Namen annehmen und »Lothar Hoff« heißen. Das ist zu seinem Besten, liebster Lysander – ich kann und darf nur an das Wohl des Jungen denken, auf mich oder auf Deine Gefühle darf ich keine Rücksicht nehmen, auch wenn ich mir nur zu gut ausmalen kann, was in Dir vorgeht.
    Lothar ist putzmunter, gesund und glücklich. Ich wünsche uns allen glücklichere und friedlichere Zeiten.
    Alles Liebe von uns beiden, Hettie
    Hamo hat versucht, mich zu trösten – er war sehr lieb und verständnisvoll. Für den kleinen Kerl sei es so am besten, meinte er. Gestern (Sonntag) Abend bin ich nach Winchelsea gefahren. Hamo denkt seinerseits daran, Femi zu adoptieren, weil sich in Westafrika bereits deutsche und britische Kolonialherren bekriegen. Britische und Empire-Truppen sind in die deutsche Kolonie Togo einmarschiert.
    Gestern haben wir uns noch bis spät in die Nacht unterhalten. Ich sagte zu Hamo, ich ginge davon aus, dass seine geplante Wienreise wohl ausfallen würde.
    »Da ist nichts zu machen, mein Junge«, antwortete er. »Doch sobald dieser verdammte Krieg aufhört, fahre ich hin. Mit etwas Glück dauert es nicht allzu lange.«
    Während ich dies schreibe, sitze ich im Gästezimmer unter den Dachbalken des kleinen Cottage und frage mich, was ich tun soll. Alles scheint sich gegen mich verschworen zu haben. Heute Nacht weht eine ziemlich steife Brise, die die ersten Blätter von den Bäumen reißt. Ich sollte mir wohl ein neues Engagement suchen, denn die Theater machen keinerlei Anstalten zu schließen, aber wenn ich nur an

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