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Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Knapp über dem Augenbrauenwulst, mitten auf der Stirn, verlief innen im Schädel in einem zart ausgebogten Muster, das an die Lappen eines Ginkgoblatts erinnerte, eine gewellte Grenze zwischen Hell und Dunkel. Diese bogenförmige Linie war der obere Rand der Stirnbeinhöhle, einer Höhlung in der mittleren von drei Knochenschichten des Schädels. Die Stirnbeinhöhle jedes Menschen war einzigartig und daher ein potenzielles Mittel zur positiven Identifikation – zumindest theoretisch, denn die Theorie war noch nicht so umfassend angewandt oder getestet worden wie die Identifikation mittels Fingerabdrücken, Zähnen oder DNA. Ich wies mit der Spitze eines Kugelschreibers auf Parnells Stirnbeinhöhle und zeigte auf den wellenförmigen Rand. »Wenn wir Glück haben und unseren Schädel wieder zusammensetzen können«, sagte ich, »können wir schauen, ob es hier eine Übereinstimmung gibt.«
    »Wenn Sie genug zusammenhaben, um es zu vergleichen«, sagte er, »bringen Sie es rüber, dann machen wir eine Röntgenaufnahme.«
    »Eigentlich«, sagte ich, »glaube ich nicht, dass wir überhaupt ein Röntgenbild machen müssen. Beim Verbrennen haben sich die inneren Knochenschichten des Schädels gelöst, sodass die Stirnbeinhöhle schon freigelegt ist. Wenn wir eine Kopie des Röntgenbilds hätten, könnten wir den Knochen direkt mit dem Bild vergleichen.«
    »Ich sag Ihnen was«, sagte er. »Ich glaube, ich bin gerade angepiepst worden. Ich bin ein paar Minuten weg. Wenn Sie nicht mehr hier sind, wenn ich zurückkomme, gehe ich davon aus, dass Theresa hier war und die Akte wieder einsortiert hat.« Er zwinkerte, schüttelte mir die Hand und wünschte mir viel Glück.

30
    Ich zog die Tür zum osteologischen Labor auf und schwenkte beim Eintreten den braunen Umschlag mit den Röntgenbildern durch die Luft, als wäre es das Gewinnlos beim 50-Millionen-Dollar-Powerball-Spiel.
    Miranda saß mit dem Rücken zur Tür über einen Labortisch gebeugt und linste durch ein beleuchtetes Vergrößerungsglas. Sie sah fast aus wie eine Statue, und ich konnte mich tatsächlich nicht erinnern, dass ich sie in den acht Tagen seit dem Brand in Cooke County in einer anderen Körperhaltung als dieser gesehen hätte – wie sie durch die Lupe schaute, Pinzette in der einen Hand, ein Stück Schädel in der anderen. Es war, als hätte sie immer hier gesessen und würde bis in alle Ewigkeit hier sitzen und die Bruchstücke des Schädels zusammensetzen, von dem wir hofften, dass es Garland Hamiltons Schädel war.
    Miranda hörte das Knistern von Papier und Röntgenfilm und schaute sich um. Ich wartete gespannt. Sie zog die Augenbrauen hoch. Ich schüttelte den Umschlag.
    Schließlich versetzte sie trocken: »Okay, die Spannung bringt mich noch um. Was ist in dem Umschlag?«
    »Wusste ich doch, dass Sie darauf brennen, es zu erfahren«, sagte ich. »Röntgenbilder des Schädels eines Obdachlosen.«
    »Und die haben Sie, weil …?«
    »Weil er womöglich vermisst wird. Weil ich Garland Hamilton nicht traue, tot oder lebendig. Weil ich mir Sorgen mache, dass das, was Sie da zusammensetzen, womöglich nicht Hamiltons Schädel ist.«
    »Sie glauben, es ist dieser Typ?«
    »Ich hoffe es nicht«, meinte ich, »aber es kann nichts schaden, mal zu vergleichen. Wie viel von der Stirnbeinhöhle haben Sie bis jetzt?«
    »So viel«, sagte sie und hielt ein Knochenmosaik von der Größe einer Briefmarke hoch. »Wahrscheinlich noch nicht genug, um es zu vergleichen. Aber da drüben in der Ecke ist ein Lichtkasten, wenn Sie es drauflegen wollen.«
    Bei dem Lichtkasten handelte es sich eigentlich um eine Leuchtplatte zum Sortieren von Dias. Bevor ich auf Digitalfotografie umgestiegen war, hatte ich von allen Fällen, an denen ich arbeitete, 35-Millimeter-Dias gemacht. Inzwischen besaß ich zehntausende Dias, sodass ich, obwohl die Umstellung auf Digitalfotos rasch vonstattengegangen war, immer eine solche Leuchtplatte und Rundmagazine brauchen würde. Ich hatte einige Versuche unternommen, meine Dias in digitale Bilder umzuwandeln und sie in PowerPoint-Präsentationen einzubauen, doch die Bilddateien waren so groß, dass sie mir den Computer zum Absturz brachten oder die Festplatte verstopften. Wenn ich sämtliche Dias in digitale Bilder umwandelte, bräuchte ich eine Festplatte von der Größe des Neyland-Stadions, um sie zu speichern.
    Ich holte die Leuchtplatte aus der Ecke, stellte sie auf den Tisch und kniete mich hin, um eine Steckdose zu suchen. Es gab keine

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