Eine Hand voll Asche
veränderte. »Müssen die von den Zähnen sein?«
»Die von den Zähnen sind normalerweise am besten. Aber eine Aufnahme eines Arms oder eines Beins wäre auch gut, falls sie etwas zeigt, was wir vergleichen können – ein verheilter Bruch oder ein orthopädisches Implantat oder etwas in der Art.«
»Und ein Kopf?«
»Ein Kopf?«
»Ein Röntgenbild vom Kopf. Der Schädel?«
Ich hörte, dass meine Stimme sich veränderte. »Sie haben ein Röntgenbild von Freddies Schädel?«
»Ich nicht, aber das Unikrankenhaus vielleicht. Kurz nachdem er zum ersten Mal herkam, ist er im Speisesaal gestürzt und hat sich böse den Kopf angeschlagen – er war bewusstlos. Wir haben einen Krankenwagen gerufen, und die haben ihn ins Unikrankenhaus in die Notaufnahme gebracht.«
Ich ließ mir von Lisa Freddies Nachnamen geben und rief dann die Radiologie an.
»Hallo, hier ist Dr. Brockton«, sagte ich zu Theresa, der Empfangsdame der Radiologie. »Ein Mann aus einer der Obdachlosen-Initiativen war vor rund vier Monaten wahrscheinlich bei Ihnen in der Notaufnahme und bekam den Schädel geröntgt. Sein Name war Freddie Darnell, D-A-R-N-E-L-L. Wir versuchen, ein Mordopfer zu identifizieren, und es besteht die Möglichkeit, dass es Darnell ist. Könnten Sie bitte nachschauen, ob es bei Ihnen eine Krankenakte gibt? Wir können einen Gerichtsbeschluss besorgen, falls das notwendig ist.«
»Bleiben Sie kurz dran, Dr. Brockton«, sagte sie und legte mich in die Warteschleife. Eine Minute verstrich, dann drei, dann fünf. Ich behielt die Balken meines Handys im Blick, da ich vergessen hatte, es über Nacht aufzuladen. Jetzt war nur noch ein Akku-Balken zu sehen, und ich machte mir Sorgen, das Telefon könnte den Geist aufgeben, bevor sie wieder dran war.
»Unter Darnell konnte ich nichts finden«, sagte sie. Mich verließ der Mut. »Aber wir hatten einen Mann namens Parnell hier, mit P«, sagte sie. »Könnte es der sein? Vielleicht hat jemand beim Sozialdienst den Namen falsch notiert oder bei der Aufnahme in der Notaufnahme wurde er falsch verstanden.«
Mein Puls fing an zu rasen. »Vorname Freddie, vielleicht auch Fred oder Frederick? Weiß, männlich, fünfundvierzig, plus/minus ein paar Jährchen?«
Sie zögerte. »Ich nehme nicht an, dass Sie eine Einverständniserklärung von ihm haben, oder?«
»Nein«, sagte ich, »und ich fürchte, er ist zu tot, um mir noch eine zu geben. Brauchen Sie einen Gerichtsbeschluss, damit ich mir seine Röntgenbilder ansehen kann?«
»Bleiben Sie noch eine Minute dran, Doc.«
Ich blieb dran. Der Akku-Balken an meinem Handy fing an zu blinken – und zapfte dem Akku damit noch schneller den Saft ab.
Schließlich war sie wieder am Apparat. »Was für ein Zufall, Dr. B.«, sagte sie. »Dr. Shepherd sagte gerade, dass er Sie in just diesem Fall konsultieren müsse.«
Ich lachte. »Theresa, Sie sind unschlagbar. Kann ich in zehn Minuten vorbeikommen?«
»Ich habe die Akte schon gezogen«, sagte sie. »Ich sage Dr. Shepherd Bescheid, dass Sie gleich rüberkommen, um mit ihm zu reden.«
Fünfzehn Minuten später schaltete Ben Shepherd einen Röntgenbildbetrachter ein und klemmte eine Schädelaufnahme daran fest. Dr. Shepherd und ich hatten bei mehreren Fällen zusammengearbeitet, und es war Ben, der mir den mobilen Röntgenapparat besorgt hatte, den wir unten an der Laderampe benutzen konnten, damit wir verweste Leichen, die geröntgt werden mussten, nicht mehr ins Krankenhaus verfrachten und seine ganze Abteilung verpesten mussten. Ich hielt jedes Jahr für die Mitarbeiter und Ärzte der Radiologie einen Diavortrag, bei dem ich ihnen eingeschlagene Schädel und zerstückelte Leichen zeigte. »Mir gefällt eine ordentliche Schusswunde«, hatte Ben einmal zu mir gesagt. »Die Abschrägung der Ränder. Die Bleispritzer im Innern des Schädels. Um einiges interessanter als ein Skateboardfahrer mit einem gebrochenen Arm.«
Ben studierte Parnells Schädelaufnahme. »Hm«, sagte er. »Nicht viel zu sehen. In seiner Akte steht, dass er eine leichte Gehirnerschütterung hatte, aber das sieht man auf dem Röntgenbild natürlich nicht.«
Ich musterte das geisterhafte Bild. Die Zähne waren nicht der Grund für die Röntgenaufnahme, also war auf dem Bild nicht viel davon zu sehen. Und der Schädel wies keinerlei Spuren verheilter Brüche auf, die wir mit dem verbrannten Schädel hätten vergleichen können. Doch es gab eine Hoffnung, erkannte ich, als ich die Vorderansicht des Schädels betrachtete.
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