Eine Hand voll Asche
Gringo wäre, wäre es herablassend. Aber ich bin Latino, also ist es das nicht.« Die Verwirrung stand mir ins Gesicht geschrieben, und er sah es augenblicklich und lächelte. »Alle Latinos mögen gleich sein«, sagte er, »aber wir werden nicht alle gleich behandelt und behandeln einander nicht gleich, selbst untereinander nicht. Im Osten von Tennessee leben Latinos aus fast allen Ländern Zentral- und Südamerikas, und einige schauen genauso herablassend auf die Mexikaner hinab wie ein Reaktionär aus Tennessee oder ein Weißer aus Georgia.«
»Wie das?«
»Teils reiner Snobismus – es gibt so viele Mexikaner in den Staaten, dass sie nicht exotisch sind, so wie Venezuelaner oder Chilenen. Es ist wie ein Rasen oder ein Garten – wenn eine seltsame Pflanze anfängt zu blühen, ist es eine Wildblume; wenn ein ganzes Büschel erblüht, wird sie als Unkraut betrachtet.«
»Nicht von den anderen Pflanzen«, wandte ich ein.
»Stimmt«, räumte er ein, »also passt die Analogie nicht ganz. Aber Sie verstehen, was ich meine?«
Ich nickte.
»Dann ist da die Hackordnung im Arbeitsleben. Mexikaner machen oft die Scheißjobs. Sie mähen Rasen, arbeiten auf dem Bau und als Tellerwäscher oder Zimmermädchen, nur um den Fuß in die Tür zu kriegen, während Leute wie ich ein Visum bekommen, um Ingenieurwesen, Anthropologie oder Medizin zu studieren. Also blicken die Akademiker unter den Latinos auf die Arbeiter unter den Latinos herab, und die Mexikaner sind größtenteils einfache Arbeiter.«
»Aber Garcia nicht«, wandte ich ein. »Er ist promovierter Mediziner, Facharzt und forensischer Pathologe.«
»Aber erst seit kurzem. Mexikaner ist er schon sein ganzes Leben lang. Und seine Eltern gehörten der Arbeiterklasse an, also weiß er, wie es ist, von oben herab behandelt zu werden. Für diese Empfindlichkeit kann er gar nichts, ehrlich.«
»Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte ich. »Dann kennen Sie Garcia?«
»Ein bisschen. Eddie ist okay. Ja, er ist ein bisschen empfindlich. Aber wenn Sie ihm nicht gleich ins Hemd treten und ein bisschen mit ihm fachsimpeln, dann läuft es schon. Er ist Forensiker, Sie sind Forensiker. Schließen Sie Freundschaft über den Knochen, Dr. B.«
»Jorge«, sagte ich über die Schulter, »Sie hätten eine brillante Karriere als Psychologe machen können. Für einen Latino sind Sie ein verdammt schlaues Kerlchen.«
Er lachte. » Bastardo !«, rief er mir hinterher. Das war bestimmt Spanisch für »Amen, Bruder!«.
Garcia stand auf und nickte leicht, als ich sein Büro im rechtsmedizinischen Institut betrat, doch er streckte mir nicht die Hand hin, und so nickte ich ebenfalls nur. »Bitte, setzen Sie sich«, sagte er.
»Es könnte ein bisschen leichter sein, wenn wir die Knochen auf einem Labortisch auslegen«, sagte ich.
»Meinethalben«, sagte er wieder. Prima , dachte ich. Ich folgte ihm den Flur hinunter zum Labor und stellte meinen Karton auf einen Arbeitstresen. Die Arbeitsplatte war mit einem großen, saugfähigen blauen Watte-Pad ausgelegt, das die zerbrechlichen Knochen abpolsterte. Ich hatte drei Femora – Oberschenkelknochen – mitgebracht, die ich nebeneinanderlegte. Garcia beugte sich über das erste, das von der Leiche stammte, die noch nicht verwest war, als sie verbrannte. Der Knochen wies unterschiedliche Färbungen auf, von grauweiß am distalen Ende, nahe dem Knie, bis zu einem tiefen Rotbraun am proximalen Ende, wo er mit der Hüfte verbunden gewesen war.
Ich wählte meine Worte sorgfältig, denn ich wollte nicht den Eindruck erwecken, als hielte ich ihm einen Vortrag, obwohl ich genau das tat. »Wir haben in jedes Auto zehn Liter Benzin geschüttet, das Feuer war also sehr heiß«, sagte ich. »Die größte Hitze lag bei zweitausend Grad Fahrenheit – rund elfhundert Grad Celsius. Das Feuer hat sämtliches weiches Körpergewebe verbrannt, bis auf Partien in der zentralen Region des Torsos.« Ich zeigte auf das Femur von der frischen Leiche. »Hier unten am distalen Ende ist der Knochen augenscheinlich vollkommen kalziniert, denn an Unterarme und Knie kommt mehr Sauerstoff, und sie verbrennen, bevor Oberschenkel und Torso überhaupt richtig Feuer fangen. Hier oben, wo das dickere Muskelgewebe eine Weile wie eine Schutzschicht gewirkt hat, ist der Knochen verkohlt, aber noch nicht kalziniert.«
Garcia besah sich den Knochen eingehend.
»Da ist immer noch organisches Material drin«, fuhr ich fort. »Man könnte aus einem Querschnitt des Knochens hier
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