Eine Hand voll Asche
Leichnam ist eine verstorbene Weiße, anhand von Zahnarztunterlagen positiv als Mary Louise Latham identifiziert, siebenundvierzig Jahre alt.« Nach dem, was ich von Art und Miranda gehört und in den Zeitungen gelesen hatte, hatte Latham ihr ganzes Leben in Knoxville gelebt. Sie und ihr Mann Stuart wohnten auf einer Farm am Middlebrook Pike, im Nordwesten von Knoxville. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich den Hof kannte. Der Middlebrook Pike hatte sich in den letzten Jahrzehnten in einen Korridor aus Lagerhäusern, Benzintanks und Containerumschlagplätzen verwandelt; soweit ich wusste, gab es dort nur eine Farm, und ihre Schönheit wurde von ihrer Einzigartigkeit noch unterstrichen. Das dazugehörige Land war eine Mischung aus rollenden Wiesen und bewaldeten Hügeln, mit einem anmutigen alten Bauernhaus und einer gepflegten weißen Scheune. Die Farm wurde eher als Hobby-Farm betrieben, mit zwei Milchkühen, einer Handvoll Hühnern und einem halben Morgen Gemüsegarten. Die Lathams hatten keine Kinder, doch Mrs. Latham lud oft Grundschulklassen auf die Farm ein, damit sie etwas über die Landwirtschaft lernten. In weniger als einer Stunde war sie in einem brennenden Auto verkohlt. Einige der kleinen Hand- und Fußknochen fehlten – wahrscheinlich zerbrochen und in einer Schicht aus Asche und Abfall auf dem Bodenblech des Autos versteckt. An den schwarzen Knochen der Arme und Unterschenkel war kein Weichgewebe mehr, nicht einmal mehr verbranntes; sie waren an den distalen Enden kalziniert, doch nicht an den proximalen Enden, wo sie mit dem Körper verbunden gewesen und folglich mit weniger Sauerstoff in Berührung gekommen waren. An Pelvis und Torso hing noch Gewebe – falls man das verbrannte, krustige Material noch »Gewebe« nennen konnte. Das einstige Schädeldach bestand nur noch aus Knochenscherben, die an kleine verbrannte Muschelstückchen erinnerten, keines größer als fünf Zentimeter im Durchmesser.
Garcia schaltete die Operationsleuchte über dem Sektionstisch ein und richtete sie auf die Knochen. Dann reichte er mir ein Paar lilafarbene Nitril-Handschuhe. Ich zog sie an. Er streifte ebenfalls ein Paar über. Mit einem lilafarbenen Finger berührte er das rechte Bein direkt unter dem Knie. »Das ist interessant«, sagte er. »Hier oben nahe dem proximalen Ende der Tibia sehen die Brüche aus wie die, die Sie mir gerade an frischen Knochen gezeigt haben.« Ich beugte mich vor und sah das spiralförmige, gesplitterte Muster, das zurückblieb, nachdem das Fleisch verbrannt war, und nickte zustimmend. »Aber hier unten am distalen Ende«, er zeigte darauf, »sind die Brüche regelmäßiger.« Tatsächlich, direkt über dem Knöchel zeigten die Risse im Knochen beinahe eine Kreuzschraffur.
»Hoppla«, sagte ich. »Sieht ja fast aus wie zwei verschiedene Fälle – einer mit frischen Knochen, der andere mit mazerierten Knochen – in einer einzigen Tibia.« Ich untersuchte den Rest des Körpers und bemerkte bei den anderen Extremitäten ein ähnliches Phänomen.
»Was halten Sie davon?«
Ich antwortete nicht. Nicht dass ich ihn ignorierte; ich war nur abgelenkt. Im Schädel – tief in einer zersprungenen Augenhöhle – steckte etwas, was meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Von der Arbeitsplatte an der Wand nahm ich eine lange Pinzette und schob sie mit der Spitze in die Höhlung, um das winzige Objekt herauszuholen. »Wissen Sie«, fragte ich, »ob die Autofenster zu waren oder offen?«
»Drei waren zu, doch das Fenster auf der Fahrerseite war ein Stück geöffnet«, sagte er. »Auf dem Boden darunter lagen mehrere Zigarettenkippen. Warum interessiert Sie das?«
»Ich frage mich, wie die Schmeißfliegen an die Leiche gekommen sein können.«
»Alle Fenster sind beim Feuer geborsten. Also hatten die Fliegen jede Menge Zugang, aber nicht viel Zeit. Als ich kam, war das Auto noch zu heiß, um es anzufassen. Ich erinnere mich nicht, irgendwelche Fliegen gesehen zu haben.«
»Ich meine nicht nach dem Feuer. Ich meine vorher.«
Garcia sah mich verdutzt an.
»Falls ihr Hirn nicht schon zu Lebzeiten von Fliegen befallen war«, sagte ich und zog die Pinzette aus der Augenhöhle, »haben die Fliegen sie tagelang bearbeitet, bevor der Wagen verbrannt ist.« Ich hielt die Pinzette über die linke Hand und ließ meine Beute in die Handfläche fallen. Dort, auf dem stramm gespannten lilafarbenen Gummihandschuh, lag eine nicht voll entwickelte Made, etwa von der Größe und Form eines Rice Krispies. Eines
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