Eine Hand voll Asche
waren wahrscheinlich kurz vor dem Einladen des Sargs noch einmal mit WD-40 eingesprüht worden, und der Leichenwagen sah frisch gewachst aus. Wir folgten Helen, als sie den Sarg ins Gebäude schob und sich das Tor schloss.
»In Ordnung«, sagte Burt, »öffnen Sie bitte den Sarg.« In seiner Stimme lag eine Mischung aus Zorn und Traurigkeit, die ich bei ihm noch nie gehört hatte. Ich hatte ihn vor Gericht natürlich mit dramatischer Empörung sprechen hören, doch nie in persönlichem Zorn und niemals in solchem Schmerz.
Der Mann zögerte. »Das wird nicht … Sie ist nicht … Es ist eine Weile her …«, stammelte der Bestatter.
»Öffnen Sie ihn«, sagte Burt, weicher, aber drohender.
Der Mann schaute mich flehend an.
»Wir müssen sie sehen«, sagte ich. »Wir müssen absolut sicher sein, dass diesmal kein Fehler passiert.«
Sein Gesicht wurde blass, doch er nickte. Von irgendwo unter dem Sarg holte er eine kleine Kurbel hervor, schob sie in ein Loch unten am Boden und begann zu kurbeln.
Fast wie von Zauberhand schwebte der Deckel zwei oder drei Zentimeter in die Höhe. Dabei stieg aus dem Inneren ein starker und unverwechselbarer Verwesungsgeruch auf. Burt zuckte, und seine Miene verhärtete sich zu einer Maske, doch er fasste nach dem polierten Holz und hob den Deckel hoch. Darin lag Tante Jean, immer noch in dem fleckigen blauen Kleid. Ihr Haar war sauberer als zu dem Zeitpunkt, da ich sie in dem Kühlanhänger gesehen hatte, und jemand hatte tapfer den Versuch unternommen, es zu bürsten und in Wellen zu legen. Die Wirkung war bizarr, aber ergreifend, frisiertes Haar rahmte einen beinahe nackten Schädel. Die wenigen verbliebenen Hautfetzen unterstrichen nur, wie viel Knochen zu sehen war: die Jochbogen, die klaffenden Zähne, das spitze Kinn, die scharf umrandeten Augenhöhlen. Als das Licht der Neonröhren an der Decke auf das Gesicht fiel, huschten einige Maden rasch in Deckung, und der Bestatter wurde noch bleicher.
»Wir haben unser Bestes getan, um sie zu säubern«, sagte er. »Es tut mir schrecklich leid.«
Burt antwortete nicht, also hielt ich ebenfalls den Mund.
Burt beugte sich vor, um sich die Zähne genauer anzusehen, genau wie ich vor einigen Tagen unten in der provisorischen Leichenhalle. »Dieses Lächeln würde ich überall wiedererkennen«, sagte er, »auch ohne Gesicht drumherum. Verdammt, Doc. Sie ist vor zwei Monaten gestorben, und ich habe meinen Frieden damit gemacht. Aber sie so zu sehen, das ist, als wäre sie noch einmal gestorben, nur schlimmer. So würdelos, wissen Sie?« Er zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die Augen. Diesmal schauspielerte Burt nicht für die Kameras.
»Ich weiß, Burt. Es tut mir leid«, sagte ich.
»Mr. DeVriess«, setzte der Bestatter an, »im Namen von uns allen bei Eternal Rest Mortuary möchte ich Ihnen unsere tiefe …«
»Halten Sie den Mund«, fuhr Burt ihn an. »Sie richten kein einziges scheinheiliges Wort an mich.«
Dem Mann blieb der Mund offen stehen, dann biss er die Zähne fest zusammen.
Burt zeigte auf den schimmernden Sargdeckel. »Machen Sie ihn jetzt zu.«
Der Mann beeilte sich, den Deckel herunterzukurbeln, und Burt nickte Helen zu. »Sobald Sie so weit sind«, sagte er.
Sie drückte einen Knopf, und die Tür des Einäscherungsofens öffnete sich. Sie schob den Sarg hinein, schloss die Tür und drückte zuerst den Knopf mit der Beschriftung »Nachbrenner« und dann die Frühzündung. Ich hörte das Zischen der Flammen, und in wenigen Augenblicken zündete die per Hand eingeriebene Politur des Mahagonisargs, und Tante Jean begann zu brennen.
24
Auf dem Rückweg vom Krematorium hielt ich bei Hardee’s, um einen Bacon-Cheeseburger zu essen. Ich wollte gerade vor dem Drive-in-Schalter vorfahren, als mir einfiel, was Helen über den Aschestaub des Krematoriums gesagt hatte – »er kommt überall hin« –, und mich an die kleine Wolke erinnerte, die, als sie damals die Knochen zermahlen hatte, aus der Aschenmühle aufgestiegen war. Lieber erst mal die Hände waschen , dachte ich. Vielleicht war es reine Einbildung, doch das Wasser, das in den Abfluss gurgelte, kam mir ein wenig trüber vor als sonst.
Ich bestellte den Burger und gesüßten Tee, und während ich auf mein Essen wartete, ging ich zum Getränketresen, um meinen Tee zu holen. Es gibt im Süden keinen Konsens über das ideale Zucker-Tee-Verhältnis von gesüßtem Tee, und über die Jahre habe ich festgestellt, dass dieses Verhältnis arg schwanken kann,
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