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Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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hat genaue Bekleidungsvorschriften erlassen. Können Sie denn nicht für kurze Zeit einmal Ihre gottverdammten Anachronismen vergessen? Was, in Gottes Namen, haben Sie da in der Hand? Das sieht ja wie eine zerquetschte Echse aus der Jura-Zeit aus.«
    »Das ist eine Krokodillederaktentasche«, informierte ihn Miller. »Ich bewahre darin meine Studienbänder auf. Die Aktentasche diente der Manager-Klasse des späten zwanzigsten Jahrhunderts als Statussymbol.« Er zog an dem Reißverschluß der Tasche. »Versuchen Sie doch zu verstehen, Fleming. Indem ich mich an die alltäglichen Gegenstände meiner Forschungsperiode gewöhne, verändert sich meine Einstellung von reiner intellektueller Neugier zur echten Anteilnahme. Sie haben sicher hin und wieder bemerkt, daß ich bestimmte Worte seltsam betone. Mein Akzent ist der eines amerikanischen Geschäftsmannes während der Präsidentschaft Eisenhowers. Kapiert?«
    »Hä?« machte Fleming.
    »Kapiert war ein im zwanzigsten Jahrhundert geläufiger Ausdruck.« Miller legte seine Studienbänder auf den Schreibtisch. »Wollten Sie etwas Bestimmtes? Wenn nicht, würde ich mich gern an meine Arbeit machen. Ich habe faszinierende Anhaltspunkte dafür entdeckt, daß die Amerikaner des zwanzigsten Jahrhunderts zwar ihre eigenen Bodenfliesen legten, nicht aber die eigene Kleidung webten. Ich werde meine Ausstellungsstücke entsprechend verändern müssen.«
    »Es gibt nichts Fanatischeres als einen Akademiker«, bemerkte Fleming. »Sie sind zweihundert Jahre hinter der Zeit zurück. Eingewickelt von Ihren Relikten und Artefakten. Ihren verdammten Nachahmungen verstaubter Trivialitäten.«
    »Ich liebe meine Arbeit«, erwiderte Miller mild.
    »Niemand beklagt sich über Ihre Arbeit. Aber es gibt noch andere Dinge als Arbeit. In dieser Gesellschaft sind sie eine politisch-soziale Einheit. Ich warne Sie, Miller! Das Ministerium ist über Ihr exzentrisches Verhalten informiert. Man weiß zwar Ihren Arbeitseifer zu schätzen ...« Seine Augen verengten sich bedeutungsvoll. »Aber Sie gehen zu weit.«
    »Zuvorderst bin ich meiner Kunst verpflichtet«, sagte Miller.
    »Ihrer was? Was heißt das?«
    »Ein Ausdruck aus dem zwanzigsten Jahrhundert.« Unverhohlene Herablassung sprach aus Millers Gesicht. »Sie sind nichts als ein kleiner Bürokrat in einer ungeheuren Maschine. Sie sind eine Funktion einer unpersönlichen Massenkultur. Sie besitzen keine eigenen Ansichten. Im zwanzigsten Jahrhundert verspürten die Menschen noch persönlichen Stolz auf ihre Arbeit. Auf ihre handwerkliche Kunst. Auf ihre eigene Leistung. Diese Worte bedeuten Ihnen nichts. Sie haben keine Seele – ein weiterer Begriff aus dem Goldenen Zeitalter des zwanzigsten Jahrhunderts, als die Menschen noch frei waren und ihre eigene Meinung sagen durften.«
    »Hüten Sie sich, Miller!« Fleming erbleichte nervös und senkte seine Stimme. »Ihr verdammten Wissenschaftler. Seht doch einmal von euren Bändern auf und erkennt die Wirklichkeit. Sie werden uns alle in Schwierigkeiten bringen, wenn Sie so weitermachen. Vergöttern Sie ruhig die Vergangenheit, wenn Sie das müssen. Aber denken Sie daran – sie ist begraben und vergessen. Die Zeiten ändern sich. Die Gesellschaft entwickelt sich.« Er deutete ungeduldig auf die Ausstellungsstücke, die das ganze Stockwerk erfüllten. »Das sind nur unvollständige Kopien.«
    »Sie zweifeln an meiner Arbeit?« Miller war wütend. »Diese Ausstellung ist absolut authentisch! Die neuesten Erkenntnisse sind von mir berücksichtigt worden. Es gibt nichts, was ich nicht über das zwanzigste Jahrhundert weiß.«
    Fleming schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Zweck.« Er wandte sich ab und näherte sich mit schlurfenden Schritten der nach unten führenden Rampe.
    Miller rückte seinen Kragen und die farbenfrohe, handbemalte Krawatte zurecht. Dann strich er den blauen Nadelstreifenanzug glatt, stopfte die Pfeife mit dem zweihundert Jahre alten Tabak, setzte sie in Brand und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Bänder.
    Warum ließ ihn Fleming nicht in Ruhe? Fleming, der offizielle Vertreter der großen Behörde, die den gesamten Planeten in ein erstickendes graues Netz eingesponnen hatte. Jeder Industriebetrieb, jeder Berufszweig, jede Familie war davon erfaßt. Ah, die Freiheit des zwanzigsten Jahrhunderts! Er verlangsamte die Geschwindigkeit des Bandlesers, und ein träumerischer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Das aufregende Jahrhundert der Männlichkeit und des Individualismus,

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