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Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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radioaktiv, und die ganze Zeit schlägt sich immer mehr davon nieder. Der Giftpegel steigt – wenn wir noch länger hierbleiben, wird er uns umbringen.«
    Mrs. Edna Berthelson umklammerte ihre Bestandsliste. In ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, den niemand aus der Gruppe jemals zuvor gesehen hatte. Der heftige Wutanfall war vorüber. Jetzt lag ein kalter, frostiger Ausdruck in den gealterten Zügen. Ihre Augen waren wie graue Felsen, völlig ohne Gefühl.
    Flannery war unbeeindruckt. »Hier ist Ihre Beute«, sagte er und warf ihr eine Handvoll Scheine vor die Füße. »Zum Teufel damit!« Er wandte sich an Crowley. »Wir sollten den Rest hineinstopfen. Wir sollten ihn in ihre gottverdammte Kehle stopfen.«
    »Halt’s Maul!« schnappte Crowley.
    Flannery trat beleidigt zurück. »Was erlauben Sie sich?«
    »Das reicht.« Verärgert und angespannt versuchte Crowley, mit der alten Frau zu sprechen. »Mein Gott, Sie können doch nicht erwarten, daß wir für alle Zeiten hierbleiben, oder?«
    Sie gab keine Antwort. Abrupt drehte sich die alte Frau um und schritt schweigend zu ihrem Wagen.
    Masterson und Crowley sahen sich unsicher an. »Sie ist tatsächlich verrückt«, meinte Masterson besorgt.
    Ungeduldig beobachtete Tellman, wie die alte Frau in ihren Wagen stieg, dann beugte er sich nieder und wühlte in einem der Lebensmittelkartons herum. Kindische Gier glänzte in seinem hageren Gesicht. »Seht mal«, brachte er mühsam hervor. »Kaffee – fünfzehn Pfund davon. Können wir etwas davon öffnen? Können wir eine Dose öffnen, um zu feiern?«
    »Klar«, sagte Crowley tonlos, und seine Augen waren auf den Wagen gerichtet. Mit gedämpftem Rasseln wendete das Fahrzeug in einem weiten Bogen und rumpelte die primitive Plattform hinunter in Richtung Asche. Es rollte ins schwarze Meer hinein, schlitterte ein kurzes Stück und löste sich dann auf. Nur die öde, sonnenscheinüberflutete Ebene aus dunkler Nacht blieb zurück.
    »Kaffee!« rief Tellman begeistert. Er warf die glänzende Metalldose in die Luft und fing sie ungeschickt wieder auf. »Eine Feier! Unsere letzte Nacht ... unsere letzte Mahlzeit auf der Erde!«
     
    Es war wahr.
    Als der rote Lieferwagen metallisch rasselnd die Straße entlangschaukelte, tastete Mrs. Berthelson das »Drüben« ab und sah, daß die Leute die Wahrheit gesagt hatten. Ihre dünnen Lippen verzogen sich. In ihrem Mund entstand ein bitterer, gallenartiger Geschmack. Sie hatte es als selbstverständlich vorausgesetzt, daß sie weiterhin kauften – dort gab es keine Konkurrenz, keine andere Nachschubquelle. Aber sie brachen auf. Und wenn sie aufbrachen, gab es keinen Absatzmarkt mehr.
    Sie würde niemals wieder einen so zufriedenstellenden Markt entdecken. Es war ein perfekter Markt. Die Gruppe war ein perfekter Kunde. Im Schließschrank hinten im Laden, versteckt unter dem Vorrat an Getreidesäcken, befanden sich fast zweihundertfünfzigtausend Dollar. Ein Vermögen, das sie über die Monate hinweg von der eingeschlossenen Gruppe eingenommen hatte, die sich abmühte, ihr Schiff zu bauen.
    Und sie hatte es möglich gemacht. Sie war dafür verantwortlich, daß sie schließlich davonfliegen konnten. Weil sie kurzsichtig gewesen war, konnten sie entkommen. Sie hatte ihren Verstand nicht gebraucht.
    Während sie zurück in die Stadt fuhr, dachte Mrs. Berthelson ruhig und rational nach. Sie trug die alleinige Verantwortung: Sie war die einzige, die dazu in der Lage gewesen war, ihnen ihren Nachschub zu bringen. Ohne sie wären sie hilflos gewesen.
    Ermutigt überlegte sie hin und her, wog diese und jene Möglichkeit ab, spähte mit ihrem tiefen, inneren Sinn in die verschiedenen »Drüben«. Natürlich gab es mehr als eins. Die »Drüben« waren wie Muster aus Quadraten angeordnet, ein verwickeltes Netz aus Welten, die sie besuchen konnte, wenn sie wollte. Aber sie alle enthielten nicht das, was sie wünschte.
    In allen waren öde Ebenen aus schwarzer Asche, völlig ohne menschliche Wohnstätten. Was sie suchte, fehlte: Sie waren alle ohne Kunden.
    Die Muster der »Drüben« waren komplex. Die Sequenzen waren wie Perlen an einer Kette miteinander verbunden. Es existierten Ketten von »Drüben«, die verflochtene Glieder bildeten. Ein Schritt führte zum nächsten ... aber nicht zu anderen Ketten.
    Behutsam und mit großer Sorgfalt begann sie jede der Ketten zu durchsuchen. Es gab viele von ihnen ... eine wirkliche Endlosigkeit von möglichen »Drüben«. Und sie hatte die Gabe zu wählen. Sie

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