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Eine Hexe in Nevermore

Eine Hexe in Nevermore

Titel: Eine Hexe in Nevermore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Bardsley
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hätte sie genügend eingeschüchtert. Aber im Gegenteil: Sie war frech geworden.
    Nur dumm, dass Lennie sich von der Hexe hatte vertreiben lassen. Er hatte das Auge nicht mitnehmen können. Und dieses Gejammer, als er mit ihm schimpfte! Dieser Mann knickte schon beim kleinsten Schmerz ein. Andererseits hielt er sofort die Klappe, wenn man ihm eine Flasche Jack Daniel’s hinstellte.
    Während sein Freund also seine Wunden leckte, war er selbst ins Sheriffbüro gefahren. Er durchsuchte die Leiche und die Gegenstände, die der Sheriff als Beweismaterial sichergestellt hatte.
    Das Auge war nicht dabei.
    Da es nicht bei Marcy war, konnte es sich nur im Besitz von Lucinda Rackmore befinden. Leider war sie im Haus des Hüters, und nicht einmal er konnte die Schutzwälle dort überwinden. Das hieß, er musste für mehrere Szenarien planen. Falls die Hexe Gray das Auge anvertraute, würde dieser es sicher ganz pflichtbewusst sofort dem Sheriff aushändigen. Falls die Hexe das Auge allerdings heimlich behielt … nun, dann sah die Sache vollkommen anders aus.
    Trotz seiner zuversichtlichen Prognose hatte sich das Portal nicht geöffnet. Anfangs schien die Barriere noch schwach zu sein, und er war deshalb sicher gewesen, dass es sich öffnen würde. Dann hätte er Kahl anrufen können. Gray Calhoun war wie alle anderen in Nevermore. Ihm fiel einfach alles in den Schoß – er war nicht etwa der Hüter, weil er diese Aufgabe verdiente, sondern weil er ein Calhoun war, ein Drache. Er musste nichts anderes tun, als in die Stadt zu kommen und die ihm zustehende Position einzunehmen.
    Aber mir steht auch ein Geburtsrecht zu. Niemand kannte die Wahrheit, und wer auch nur den leisesten Verdacht schöpfte – wie diese alten Hühner aus der Bibliothek –, nahm ihn mit ins Grab. Alles hatte man ihm genommen. Seine Eltern. Seine Zauberkraft. Seine Identität.
    Er wurde wütend.
    Wie ärgerlich es doch war, dass sich das Portal nicht geöffnet hatte. Wären alle Gegenstände beisammen, hätte es funktioniert, und der Zauber wäre bereits vollendet. Stattdessen war die Barriere wieder stärker geworden. Jetzt musste er von vorn beginnen.
    Er schluckte seinen Ärger herunter, denn er wollte sich nicht entmutigen lassen. Nichts klappte beim ersten Mal. Auch nicht unbedingt beim zweiten. Aber das sollte ihn jetzt nicht vom Wesentlichen ablenken, denn es wartete Arbeit auf ihn: Es galt, sich den kleinen Schatz vom Hüter zurückzuholen. Doch zuerst musste er ein bisschen aufräumen.
     
    Wenn nur sein Kopf endlich explodieren würde, dachte Taylor voller Anspannung. Mit jedem einzelnen Wort von Cathleen nahm der pulsierende Schmerz zwischen seinen Augen zu. Sie saß ihm gegenüber in seinem Büro auf einem der Ledersessel, der bei jeder ihrer Bewegungen quietschte. Und sie bewegte sich andauernd.
    »Nein, Sir. Er tauchte zum verabredeten Inspektionstermin gar nicht auf. In den Büchern der Stadt sind meine Rechte verankert. Wenn der Hüter sein Wort nicht hält, dann ist sein Wort auch nicht länger Gesetz. Genau so steht das hier.« Sie beugte sich vor und tippte mit einem ihrer spitzen knallrosa lackierten Fingernägel auf die entsprechende Seite.
    Taylor warf einen Blick auf die verblichenen Seiten des alten Buches. Der erste Sheriff von Nevermore hatte dieses und einige andere Bücher verfasst, eine Reihe von Gesetzen, die der erste Hüter zum Schutz der Stadt und ihrer Bewohner erlassen hatte. Wieso Cathleen von deren Existenz wusste, er aber nicht, war ihm ein Rätsel. Normalerweise las sie nur diese verlogenen Klatschblätter. Dass sie sich durch undurchdringliche Gesetzestexte quälte, war gewiss nicht ihre Art.
    Dennoch war sie direkt auf die deckenhohen Bücherregale zugesteuert, die die linke Wand seines Büros zierten, und hatte zielsicher das Buch aus der ersten Reihe des dritten Regals gezogen. Es war eines dieser überdimensionalen Gesetzeswerke, die Taylor eher als schicke Dekoration seines Arbeitszimmers benutzte denn als Arbeitshilfe.
    »Sehen Sie, Sheriff?« Cathleen reckte das Kinn und schniefte, ganz offensichtlich gab sie das arme, unschuldige Opfer. »Ich habe dafür gesorgt, dass alles korrekt und in Ordnung ist. Und er hat es nicht mal nötig, zu kommen! Was für ein Hüter ist das denn?«
    »Vielleicht möchten Sie ihn das selbst fragen?« Taylor lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte sie eindringlich. »Ich bin sicher, Gray würde Ihnen nur allzu gern eine Demonstration seines Pflichtbewusstseins geben

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