Eine Hexe in Nevermore
bereits.
Er lehnte sich zurück. Sein Herz schlug heftig. Das konnte nicht sein. Nicht so wunderbar. Hart und brutal, ja. Wild vor Begierde und Lust, ein Gewirr aus Gliedern, Schweiß und Stöhnen … Oh ja.
Dann müsste er nicht auf sein Gewissen hören.
Er wehrte sich auch nicht, als sie ihn ein zweites Mal küsste. Sie hielt sein Gesicht so vorsichtig zwischen ihren Händen, als wäre es zerbrechlich. Ihr Mund war wie ein Schmetterling, flatternd, flirtend, kurz landend, nur um wieder davonzufliegen. Sie streifte mit der Zunge seine Mundwinkel.
»Lass mich rein«, flüsterte sie.
Gray öffnete den Mund und nahm ihre Zunge in sich auf. Ihre Zärtlichkeit überrumpelte ihn. Er wollte sie unterwerfen und sie hart nehmen – doch sie gab ihm etwas, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass er sich danach sehnte.
Nein. Das durfte er nicht zulassen. Niemals mehr wollte er so etwas empfinden. Verdammt! Sein eigener Körper strafte seine Gedanken Lügen. Einmal mehr wurde er von einer Rackmore-Hexe manipuliert.
Angeekelt machte Gray sich von Lucinda los und sah sie an. Er las kein Kalkül in ihren Augen, einfach nur Wärme und Verlangen. Ein Verlangen, das er stillen konnte. Ihr roter Mund war so verführerisch. Er wollte ihn überall auf seinem Körper spüren. Wieder nahm sie sein Gesicht in ihre Hände – und er genoss es. Es gefiel ihm, wie sie mit ihm umging. Nur verdiente er es nicht. Außerdem konnte er ihr nicht trauen. Meinte sie es ernst, oder spielte sie nur mit ihm?
Im tiefsten Innern seiner Seele wusste er jedoch:
Sie wollte ihn. Und er wollte sie.
Und er würde nicht so tun, als ginge es dabei um etwas anderes als um Sex.
»Was machst du da?« Seine Stimme klang schärfer, als er es gewollt hatte.
Erschreckt starrte Lucinda ihn an, und er kam sich vor wie ein Idiot, als sie ihn losließ. »Ich dachte eigentlich, ich küsse dich.«
»Lass das.« Er fuhr sich fahrig mit der Hand durchs Haar. »Ich will dich. Aber ich will dich schnell und hart. Ich will in dich eindringen, dich verrückt machen, dich zum Schreien bringen.«
Das würde mir auch gefallen. Ihre Gedanken flossen in seine. Triumphierend beugte er sich zu ihr. Er war bereit. Doch dann hörte er einen weiteren Gedanken von Lucinda. Aber wenn er mich doch ein kleines bisschen mögen würde. Ich bin zu oft benutzt worden.
Gray erstarrte.
»Ich glaube, ich gehe noch mal schwimmen.« Lucinda stand auf und lächelte ihn unsicher an. Hatte sie seine Reaktion bemerkt? »Der Traum wird bald vorbei sein.«
Dieser Traum war anscheinend schon jetzt zu Ende.
Er sah ihr zu, wie sie ins Wasser ging. Als sie bis zur Hüfte im Wasser stand, sprang sie hinein und schwamm davon.
Das hast du jetzt davon, du Trottel. Warum hast du ihr nicht einfach gegeben, was sie haben wollte? Was ist so anders an ihr? Ist sie nicht wie jede Frau, die sich nach ein bisschen Zärtlichkeit, ein bisschen Romantik sehnt? Natürlich wäre das alles nicht echt gewesen, aber sie kennt ja die Regeln, die in Träumen gelten. Oder etwa nicht?.
Er war verletzt, verbittert, misstrauisch. Sein elender Selbstschutz war ihm wichtiger, als mit dieser schönen Frau zu schlafen. Dabei hatte er selbst behauptet, an diesem Ort gäbe es keine Geheimnisse und keinen Grund, sein Herz zu schützen.
Er hatte sich geirrt.
Er schuldete der Hexe Dank.
Ihr dilettantischer Versuch, Marcy zu retten, hatte sich als unerwarteter Bonus herausgestellt. Jetzt war der Hüter abgelenkt, und das war gut. Denn er brauchte Zeit – um den Gegenstand zu finden, den Zauber zu erschaffen und seine Fehler wiedergutzumachen.
Aber die Hexe hatte ihm noch ein weiteres Geschenk gemacht. Sie war auf der Flucht vor Bernard Franco. Er konnte also leicht die Information über ihren Aufenthaltsort gegen die Hilfe der Raben eintauschen, falls nötig. Doch Francos Dankbarkeit konnte sich jederzeit in einen Verrat verwandeln, das wusste er, und er konnte es sich nicht erlauben, mit unkontrollierbaren Größen zu arbeiten.
Trotzdem war er so erfreut über die neue Entwicklung, dass er beschloss, Lucinda einen schnellen Tod zu gewähren. Ja, sie verdiente seine Gnade.
Und sein Mitleid.
Er stand neben dem Tisch und betrachtete die magischen Gegenstände. Nur einer, der Wichtigste, fehlte ihm noch. Marcy hatte ihn gestohlen. Er hatte seine scheue kleine Geliebte unterschätzt. Als er herausfand, dass sie ihm hinterherspioniert hatte und im Keller des Cafés gewesen war, verlor er die Beherrschung. Er dachte, er
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