Eine Hexe mit Geschmack
anderen Dingen, die sie nicht wissen konnte. Es war die Magie, die zu ihr
sprach, und soweit ich es beurteilen konnte, log sie niemals. Es war nicht das
Schicksal, hatte sie mir einmal erklärt, sondern eher die Vergangenheit, die
noch nicht geschehen war. Nicht zu verwechseln mit der Zukunft, die vielleicht
eintrat oder der Gegenwart, die sich niemals ereignete. Feine Unterschiede, die
ich nie ganz verstand, aber die Grausige Edna hatte mir versichert, dass das
nicht meine Schuld war. Sie konnte es eben nicht richtig erklären. Nur die
Magie konnte es, aber die Magie hatte nie zu mir gesprochen. Oder vielmehr
hatte ich sie noch nie gehört.
Ich zog mein Kleid über. Es war
aus einem bequemen Stoff gefertigt, der auf höchst unschmeichelhafte Art
geschnitten war. Es gelang ihm nicht ganz, all die ungewollten Reize meiner so
gar nicht hexenhaften Gestalt zu verbergen, aber es war immerhin besser als
nichts. Normalerweise hätte ich es nicht gewagt, mich ohne einen zerlumpten
Umhang und einen altbackenen Schal draußen sehen zu lassen. Ich machte ein
finsteres Gesicht und presste eine Handfläche auf meinen flachen Bauch. Solange
ich denken konnte, hatte ich daran gearbeitet, einen schlaffen Bauch und einen
pummeligen Hintern zu entwickeln. Der Fluch hielt sie fest und in Form, ganz
egal, wie viel ich aß.
»Beeil dich, Liebes«, sagte die
Grausige Edna.
Ich schnappte mir meinen Hut,
abgeschabt und spitz, mit einer breiten Krempe, und steuerte auf die Tür zu.
Auf dem Weg nach draußen hielt ich inne und sah meine Herrin an, die gerade mit
dem Rücken zu mir am Herd herumfuhrwerkte.
Sie drehte sich nicht um. »Und
nimm Molch mit. Er wird sowieso bald dir gehören. Ihr könnt euch genauso gut
auch gleich aneinander gewöhnen.«
Ich brachte es immer noch nicht
über mich zu gehen. Nicht, dass ich der Meinung war, zu bleiben würde etwas
nützen. Wenn die Magie sagte, sie würde sterben, dann konnte ich es nicht
aufhalten.
»Na los, Kind.« Sie warf einen
Blick über die Schulter. »Ich will dir nicht die Ohren lang ziehen müssen.«
»Ja, Herrin.«
Das helle Licht brannte in meinen
Augen. Ich ertrug es zwar, aber seine Strahlen stachen auf meiner Haut. Die
warme Brise ließ mich frösteln. Ich zog meine Krempe tief ins Gesicht und ließ
mir Zeit, mich an den Morgen zu gewöhnen.
Ich rief nach Molch.
»Du musst nicht schreien«, sagte
er vom Hüttendach herunter. »Ich bin hier.« »Wir müssen zum See.«
Molch legte den Kopf schief und
blinzelte mich mit einem Auge an. »Was?«
»Die Herrin hat es befohlen.«
Er neigte den Kopf zur anderen
Seite. »Warum?«
»Das hat sie nicht gesagt. Sie
sagte nur, wir sollen uns beeilen.«
»Wir?«
»Du sollst mit mir kommen.« »Bist
du sicher?«
Die Grausige Edna rief aus der
dunklen Hütte: »Na los, Molch! Tu, was sie sagt!« »Oh, schon gut.«
Molch war der Vertraute meiner
Herrin. Vertraute treten in zahllosen Arten auf: Dämonen in tierischer Gestalt,
verzauberte Kreaturen, Träume, die Gestalt angenommen haben, Gestalten, die zu
Träumen wurden. Die Grausige Edna hatte Molch geschaffen, indem sie einen
Wasservogel mit Intelligenz und Sprachfähigkeit verzaubert und dann eine Prise
reine dämonische Essenz hinzugegeben hatte. Das Resultat war eine übellaunige
Ente, unzufrieden mit der ganzen Welt und immer recht willig, ihre
Unzufriedenheit auch mitzuteilen.
Eine Ente zu sein war das, womit
er am unzufriedensten war. Nicht nur eine Ente, sondern auch noch eine weiße
Ente. Braune Federn säumten seine Flügel und zogen sich seinen Rücken hinunter.
Aber sie schafften es nicht, ihn düsterer zu machen. Es hätte auch nichts
geholfen, wenn er nachtschwarz gewesen wäre, glaube ich. Enten, selbst
Dämonenenten, sind einfach kein Furcht einflößender Anblick.
Er hüpfte vom Dach und landete
neben mir. »Dann lass uns gehen. Wenn wir müssen. Du solltest dich besser
anziehen.«
»Ich bin angezogen.«
»Das sehe ich anders. Du bist kaum
bedeckt.«
Ich erklärte, dass das alles war,
was die Grausige Edna mir zu tragen erlaubte. Er quakte missbilligend. Wir
gingen den Weg zum See entlang. Molch hatte eine eigenartige Art zu gehen. Sein
o-beiniges Stolzieren sah lächerlicher aus als ein traditionelles Watscheln.
Ich hatte ihm das auch einmal gesagt, und er hatte mir geantwortet, ich solle
mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.
Das tat ich. Obwohl er wirklich
einen Gang hatte wie ein Vogel mit Ausschlag zwischen den Beinen.
Als wir zum See kamen,
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