Eine hinreißende Schwindlerin
zog sein Notizbuch hervor und suchte nach der entsprechenden Seite. „Um genau zehn Uhr neununddreißig werden Sie die Frau sehen, die Sie heiraten werden, aber nur wenn Sie sich ihr so nähern, wie ich es …“ Er verstummte und sah auf.
Der unschuldsvolle Ausdruck war aus ihren Augen gewichen. Sie hatte genau gewusst, was sie gesagt hatte. Sie hatte ihn ohne Zweifel überlistet, damit er wie ein Narr dastand.
„Aber nur, wenn ich mich ihr so nähere, wie Sie es mir sagen“, vollendete er den Satz finster.
„Ach ja, so wie ich es Ihnen sage.“ Sie lächelte. „Und ich sage Ihnen, dass ich Ihnen dazu drei Aufgaben stellen werde.“
Er hatte sich selbst für so schlau gehalten wegen seiner Idee, sie dazu zu bringen, eine leicht zu widerlegende Behauptung abzugeben. Und er hatte geglaubt, das Einzige, was er tun musste, war, niemanden zu heiraten. Schließlich war ihm das schon sein ganzes bisheriges Leben gelungen. Er war zu zuversichtlich, zu sicher gewesen, sie in eine Ecke gedrängt zu haben.
Offenbar hatte er sie unterschätzt. Er hatte sich so sehr darauf konzentriert, sie zu entlarven, dass er nicht gemerkt hatte, wie sie sich selbst ein Hintertürchen offen gehalten hatte.
Zwar konnte er sich jetzt einfach zurückziehen, doch wenn er das tat, überließ er Ned wieder ungehindert ihrem Einfluss.
„ Mir haben Sie nie Aufgaben gestellt“, beschwerte Ned sich beleidigt.
„Natürlich nicht“, tröstete Madame Esmeralda ihn. „Aber stellen Sie sich doch einmal vor, was für ein gewaltiges Unterfangen es für Ihren Cousin werden wird, eine Frau davon zu überzeugen, dass sie ihn gernhat. Wenn ich ihm keine Aufgaben stelle, benutzt er stattdessen wieder seine Logik, und bedenken Sie nur, wohin das führen würde. Sie brauchen keine Aufgaben, Sie werden ohnehin schon von allen gemocht.“
Gareth ballte vor unterdrückter Wut die Fäuste und bohrte sie in die Lederpolster. „Und wie lautet die erste Aufgabe?“, stieß er hervor. „Soll ich Ställe ausmisten? Löwen erlegen? Oder muss ich einen ganzen Zitronenhain abholzen?“
Sie tippte mit der Fingerspitze an ihre Lippen. „Es ist noch etwas verfrüht, es Ihnen zu sagen, aber ich denke, es kann nicht schaden. Sie müssen einen Elefanten aus einem Stück Ebenholz schnitzen.“
„Elefanten?“ Er richtete den Blick nach oben. „Warum immer Elefanten?“
Die Kutsche kam langsam zum Stehen. Der Lakai öffnete die Tür und Sonnenstaub tanzte genau vor Madame Esmeralda in der Luft. Dadurch sah sie beinahe … mystisch aus. Zur Hölle mit ihr.
„Ich bin nur ein bescheidenes Sprachrohr für die Geister“, erklärte Madame Esmeralda. „So wie Sie ein Sprachrohr für den Elefanten sein werden. Sie werden Ihrer zukünftigen Frau den Elefanten bei Ihrem ersten Treffen schenken.“ Mit funkelnden Augen stieg sie aus der Kutsche.
Gareth unterdrückte ein Aufstöhnen. Es würde ihm sicherlich gelingen, ein solches Geschenk halbwegs würdevoll zu überbringen. Wenn sie glaubte, ihn zum Narren machen zu können, irrte sie sich. Aber vielleicht hatte sie ja vor, ihm ein Unentschieden aufzuzwingen? Bestimmt dachte sie, er würde aufgeben, wenn sie die Aufgaben so schwierig wie möglich gestaltete. Und wenn sich ihre Bedingungen somit nicht erfüllten, konnte er nicht beweisen, dass sie eine Betrügerin war – und das bedeutete, dass sein Cousin sie weiter aufsuchen würde. Undenkbar.
Den triumphierenden, beschwingten Schritten nach, mit denen sie sich dem Geschäft näherte, schien sie ähnlichen Gedanken nachzuhängen.
Innerlich brodelnd betrat Gareth den kleinen Laden. Ned, der mit Madame Esmeralda über irgendwelche Banalitäten plauderte, beachtete er gar nicht. Die vielen bunten Stoffballen im vorderen Wartebereich nahm er ebenso wenig wahr, für ihn war alles nur Grau in Grau. Er merkte nicht einmal, wie er rastlos hin und her lief, während Madame Esmeralda in das Hinterzimmer geführt wurde. Am liebsten hätte er die Modeplakate von den Wänden gerissen und die Stoffmuster, die artig auf den Tischen auslagen, in tausend Stücke zerfetzt.
Gareth hasste es, zu verlieren. Er hatte nicht vor, sich von einer Betrügerin überlisten zu lassen. Als er noch geglaubt hatte, sie mühelos entlarven zu können, hatte er sich auf die Herausforderung gefreut. Doch die Situation war weitaus weniger reizvoll, wenn die Möglichkeit bestand, dass diese Frau gewann.
Aufgaben . Nein, so durfte das nicht weitergehen.
Er wandte sich an Ned, der auf einem Stuhl
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