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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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wurde über die Wasserangelegenheit,Reinigung der Canäle u. dgl. m. hin- und hergestritten.
    Doch das Alles würde man den stürmischen Rednern gern verziehen haben, wenn sie sich nur nicht, von dem Strome fortgerissen,
     über diese Fragen hinausgewagt und es versucht hatten, Quiquendone in die Wechselfälle eines Krieges zu verflechten.
    Wirklich hatte die Stadt seit acht- bis neunhundert Jahren einen ganz vorzüglichen casus belli in ihrem Archive liegen, aber
     bis jetzt war er, gleich einer kostbaren Reliquie, aufbewahrt worden, und hatte es den Anschein, als solle er unbenutzt liegen
     bleiben.
    Der besagte casus belli war bei folgender Gelegenheit entstanden:
    Es ist allgemein unbekannt, daß Quiquendone eine kleine Nachbarstadt mit Namen Virgamen hatte, und das Territorium der beiden
     Gemeinden dicht an einander grenzte.
    Nun war es geschehen, daß zur Zeit des Grafen Balduin, kurz vor dem Kreuzzuge im Jahre 1185, eine Kuh, und zwar eine Gemeindekuh,
     was wohl zu beachten ist, aus Virgamen herübergekommen war und auf dem Gebiet von Quiquendone gegrast hatte. Die unglückliche
     Wiederkäuerin hatte wohl kaum »Von der Wiese einen Raum, drei Mal so breit wie ihre Zunge abgeschoren«, 6 aber die Uebertretung, das Vergehen, die Unthat, oder wie man es nennen will, war begangen worden, und durch ein zu jener
     Zeit aufgenommenes Protokollconstatirt; denn schon damals fingen die Behörden an, sich der Schreibekunst zu bedienen.
    »Der Augenblick, da wir uns rächen werden, wird dereinst kommen, hatte Natalis van Tricasse, der zweiunddreißigste Vorgänger
     des gegenwärtigen Bürgermeisters, im Anno 1185 bemerkt; den Virgamenern soll ihre verdiente Strafe nicht geschenkt werden!«
    Aber da die Virgamener bis jetzt auf die angekündigte Rache gewartet hatten, ohne daß irgend ein Schritt von Seiten der Quiquendonianer
     erfolgt wäre, glaubten sie nicht ohne Grund, daß die Erinnerung an das ihnen zugefügte Unrecht mit der Zeit erstorben sei,
     und lebten nun bereits seit mehreren Jahrhunderten im besten Einvernehmen mit ihren Nachbarn.
    Sie rechneten jedoch ohne den Wirth, oder vielmehr ohne die sonderbare Epidemie, die den Charakter der Quiquendonianer so
     radical verändert und in ihrem Herzen das lange schlummernde Rachegefühl angefacht hatte.
    Im Club der Monstrelet-Straße warf der hitzige Advocat Schut seinen Zuhörern plötzlich die betreffende Frage in's Gesicht
     und entflammte ihren Zorn, indem er sich auf's freigebigste all der Metaphern und Floskeln bediente, die bei solchen Gelegenheiten
     an der Tagesordnung zu sein pflegen. Er erinnerte an das Delictum, erinnerte an das gegen die Gemeinde Quiquendone begangene
     Unrecht und machte darauf aufmerksam, daß man bei einer »auf ihre Rechte eifersüchtigen Nation« keine Verjährung statuiren
     dürfe. Er wies auf die schreiende Beleidigung, die noch immer blutende Wunde hin, sprach von einem gewissen eigentümlichen
     Kopfschütteln der Einwohner vonVirgamen, das schon genugsam zeige, wie sehr sie die Quiquendonianer verachteten; er warf seinen Landsleuten vor, daß sie
     bereits Jahrhunderte lang diese Beschimpfung ertragen hätten, und beschwor die Kinder der altehrwürdigen Stadt, kein anderes
     Objectiv mehr zu haben, als eine glänzende Genugthuung für die erlittene Schmach! Endlich appellirte er an »alle lebendigen
     Streitkräfte« der Nation.
    Der Enthusiasmus, mit welchem diese für quiquendonianische Ohren so ungewohnten Worte aufgenommen wurden, war unbeschreiblich;
     alle Zuhörer hatten sich von ihren Sitzen erhoben und verlangten mit heftigen Gesticulationen und lautem Geschrei »Krieg!«
     Nie hatte Advocat Schut bis jetzt einen solchen Erfolg gehabt; derselbe war in der That brillant!
    Der Bürgermeister, der Rath und alle Notabeln, die dieser denkwürdigen Scene beiwohnten, waren außer Stande gewesen, dem Drängen
     des Volkes Einhalt zu thun, auch wenn sie das wirklich gewollt hätten. Dies Letztere war jedoch durchaus nicht der Fall, und
     sie schrieen, wenn möglich, noch lauter wie alle anderen:
    »Nach der Grenze! Nach der Grenze!«
    Die Grenze war aber nur drei Kilometer von Quiquendone entfernt, und so konnten die Virgamener wirklich in Gefahr kommen,
     überfallen zu werden, noch ehe sie sich irgendwie darauf vorbereitet hatten. –
    Indessen bemühte sich der ehrenwerthe Apotheker, Herr Josse Liefrink, der bei diesen bedenklichen Verhandlungen allein den
     Kopf oben behalten hatte, seinen Mitbürgern begreiflich zu

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