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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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erkläre Ihnen, daß unsere Cohorten sich ohne Zögern versammeln und vorrücken müssen.
    – Wirklich? Herr, wirklich? und so wagen Sie zu mir sprechen?
    – Ja, zu Ihnen, Herr Bürgermeister; mögen Sie immerhin einmal die Wahrheit hören, wenn sie Ihnen auch etwas bitter schmecken
     mag.
    – Sie selber sollen die Wahrheit zu hören bekommen, Herr Rath, schrie wüthend der Bürgermeister, und besser aus meinem Munde,
     als von irgend sonst Jemand! Herr! jede Verzögerung würde entehrend für uns sein. Neunhundert Jahre lang hat die Stadt auf
     den Augenblick der Genugthuungfür die erlittene Schmach gewartet, und jetzt werden wir auf den Feind losmarschiren, mögen Sie sagen, was Sie wollen, mag
     es Ihnen so passen oder nicht!
    – Ah! also von dieser Seite fassen Sie die Sache auf, erwiderte derb der Rath. Nun, beruhigen Sie sich, wir werden ohne Sie
     ausziehen, wenn es Ihnen nicht beliebt mitzukommen!
    – Oho! der Bürgermeister steht oben an und hat zu entscheiden, Herr!
    – Ein Rath auch, Herr van Tricasse!
    – Sie beleidigen mich, Herr, indem Sie allen meinen Entschließungen entgegen arbeiten, rief der Bürgermeister, dessen Fäuste
     sich krampfhaft ballten, als wollten sie sich in schlagende Projectile verwandeln.
    – Und Sie beleidigen mich, indem Sie meinen Patriotismus in Zweifel ziehen, rief Niklausse, der sich gleichfalls zum ›Zuschlagen‹
     bereit machte.
    – Ich sage Ihnen, Herr, daß die Armee in zwei Tagen von Quiquendone ausmarschiren wird!
    – Und ich wiederhole auf das Entschiedenste, daß nicht achtundvierzig Stunden vergehen werden, ohne daß wir bereits vor dem
     Feinde stehen!«
    Man kann aus diesem Bruchstück der Unterhaltung leicht abnehmen, daß die beiden Sprecher genau dasselbe wollten. Beide beabsichtigten
     die Schlacht; aber da die übergroße Aufregung den Rath sowohl als den Bürgermeister vollständig absorbirte, hörte Keiner auf
     die Worte des Anderen und glaubte, daß ihm widersprochen würde; die Unterredung hätte nicht stürmischer sein können, wenn
     Beide ganz entgegengesetzter Ansicht gewesen wären.
    Die beiden Männer, früher so gute Freunde,warfen sich die wildesten Blicke zu, und an ihren hochgerötheten Wangen, den zusammengezogenen Pupillen, dem Zittern ihrer
     Muskeln und vor Allem an ihrer Stimme, die zu einem förmlichen Brüllen ausartete, merkte man, daß sie bereit waren, auf einander
     loszugehen.
    In dem Augenblick aber, wo die Gegner handgemein werden wollten, hielt der Schlag einer Thurmuhr sie in ihrem Eifer auf.
    »Endlich ist die Stunde herangekommen, rief der Bürgermeister aus.
    – Welche Stunde? fragte der Rath.
    – Die Stunde, da wir uns auf den Thurm zur Sturmglocke begeben wollten.
    – Richtig, und ob es Ihnen nun lieb ist oder nicht, ich werde hingehen, Herr!
    – Und ich auch.
    – Gehen wir!
    – Ja, gehen wir!!«
    Diese letzten Worte hätten der Vermuthung Raum geben können, daß eine feindliche Begegnung in Aussicht genommen war, und daß
     die Gegner sich auf den Kampfplatz begeben wollten; aber dem war durchaus nicht so. Man hatte verabredet, daß der Bürgermeister
     und Rath Niklausse – als die beiden Hauptnotabeln der Stadt – nach dem Rathhause gehen und von dem sehr hohen Thurm desselben
     die umliegende Landschaft einer genauen Ocular-Inspection unterwerfen sollten, um hiernach ihre strategischen Anordnungen
     für den Marsch der Truppen treffen zu können.
    Obgleich beide Herren in Bezug auf ihren Gesprächsgegenstand vollkommen einer Meinung waren, hörten sie unterwegs nicht auf,
     sich zu zanken. IhreStimme hallte in den Straßen wieder, aber da sämmtliche Vorübergehende ganz ebenso schrieen wie sie, hatte das nichts besonders
     Auffallendes, und Niemand achtete darauf. Wäre zu jetzigen Zeiten Jemand ruhig seines Weges gegangen, man hätte ihn als ein
     Ungeheuer angesehen.
    Bürgermeister und Rath waren im Paroxysmus ihrer Wuth bis an die Vorhalle zu den Sturmglocken gekommen; der Zorn färbte ihre
     Gesichter nicht mehr roth, sondern blaß; denn obgleich sie bei der Erörterung ganz dieselbe Ansicht gehabt hatten, war die
     Aufregung so groß gewesen, daß sie ihnen in die Eingeweide gefahren war und ihnen Krämpfe verursacht hatte. Bekanntlich legt
     die Blässe Zeugniß dafür ab, daß der Zorn auf die äußerste Grenze gestiegen ist.
    An der untersten Stufe der engen Thurmtreppe fand eine förmliche Explosion statt. Wer sollte vorangehen? wer zuerst die Stufen
     der Wendeltreppe erklimmen? Wollen

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