Eine Idee des Doctor Ox
wirklich und wahrhaftig in den Straßen durch; ein Ochse stürzte mit gesenkten
Hörnern auf einen seiner Zunftgenossen los, und ein Esel kehrte auf dem Saint-Ernulph-Platze die Beine gen Himmel und ließ
ein Geschrei hören, das nichts »Thierisches« mehr hatte. Ja, es geschah sogar, daß ein Hammel, ein Hammel aus Quiquendone,
sich tapfer gegen das Messer des Schlächters wehrte, um seine Coteletten zu vertheidigen!
Der Bürgermeister van Tricasse war genöthigt, Polizei-Edicte zu erlassen, um den Unfug zu verhindern, der von wild gewordenen
Hausthieren in der Stadt angerichtet wurde.
Aber ach! wenn die Thiere toll und wild waren, so machten es die Menschen nicht viel besser. Kein Alter blieb von der allgemeinen
Raserei verschont.
Die Kindererziehung war ehedem in Quiquendone so leicht gewesen; jetzt zum ersten Mal mußte der Oberrichter Honoré Syntax
die Ruthe bei seinen Sprößlingen anwenden.
Im Gymnasium fand ein förmlicher Aufruhr statt; die Wörterbücher zeichneten bedauerliche Flugbahnen durch die Klassen, und
die Schüler konnten es nicht mehr in den Schulräumen aushalten. Aberauch den Lehrern mußte man große Überreiztheit und Aufregung vorwerfen, denn sie erdrückten die Knaben mit übermäßigen Strafarbeiten.
Noch ein anderes Phänomen! Alle bis jetzt so mäßigen Quiquendonianer, sie, die Schlagsahne zu ihrem Hauptnahrungsmittel gemacht
hatten, begingen wahre Excesse im Essen und Trinken. Ihr gewöhnliches Regime reichte nicht mehr aus; jeder Magen schien sich
in einen Abgrund verwandelt zu haben, der wohl oder übel mit den wirksamsten Mitteln gefüllt werden mußte. Der Verbrauch von
Nahrungsstoffen war der dreifache, und statt zweier Mahlzeiten pflegte man jetzt sechs zu halten; natürlich konnten zahlreiche
Verdauungsbeschwerden nicht ausbleiben. Rath Niklausse wußte seinen Hunger nicht zu stillen, und der Bürgermeister van Tricasse
konnte seinen Durst nicht zum Schweigen bringen, so daß er sich fortwährend in einer Art Halbtrunkenheit befand.
Ueberall gaben sich die beunruhigendsten Symptome kund und häuften sich von Tag zu Tage.
Man begegnete auf Schritt und Tritt Betrunkenen, und unter denselben oft sogar Notabeln.
Der Arzt Dominique Custos hatte enorm viel zu thun, um Nervenfieber und Magenkrämpfe zu heilen, und schon dies allein lieferte
wohl hinreichenden Beweis dafür, in wie gewaltsamer Weise die Nerven der Bevölkerung angespannt waren.
Auf den ehemals so öden Gassen hörte man täglich Streit und Zank, und die Volksmenge wogte lebhaft auf ihnen hin und her,
denn Niemand mochte mehr ruhig in seiner Behausung bleiben.
Eine neue Polizei mußte geschaffen werden, um die Störer der öffentlichen Ordnung im Zaume zuhalten, und ein Arrestlocal wurde eingerichtet, das Tag und Nacht mit Widerspenstigen bevölkert war. Commissar Passauf war
hundemüde!
Eine Heirat wurde während dieser denkwürdigen Zeit in weniger als zwei Monaten abgeschlossen, und zwar zwischen dem Sohn des
Steuereinnehmers Rupp und einer Tochter der schönen Augustine von Rovere. Die Hochzeit fand statt genau siebenundfünfzig Tage,
nachdem er um ihre Hand angehalten hatte!
Auch andere Heiraten, die in früheren Zeiten ganze Jahre nur Project geblieben waren, machten sich jetzt im Fluge, und der
Bürgermeister konnte sich nicht genug darüber wundern, wie seine Tochter, die reizende Suzel, ihm unter den Händen durchschlüpfte.
Was die liebenswürdige Tatanémance anlangt, so hatte sie bereits unter der Hand gewagt, den Commissar Passauf in Betreff einer
Vereinigung zu sondiren, die ihr alle Elemente des Glücks, der Jugend, der Ehrbarkeit und des Vermögens zu vereinigen schien!
......
Endlich fand sogar – o Abgrund alles Abscheulichen! – ein Duell statt, und zwar ein Pistolenduell mit Reiterpistolen auf fünfundsiebenzig
Schritt Distance! Zwischen wem denn aber? Unsere Leser würden es schwerlich errathen: zwischen Herrn Frantz Niklausse, dem
friedlichen Angler, und Simon Collaert, dem Sohn des reichen Banquiers.
Und die Ursache des Duells – war des Bürgermeisters eigene Tochter, in die Simon sich sterblich verliebt hatte, und die er
den Ansprüchen seines kühnen Nebenbuhlers nicht ohne Kampf überlassen wollte! –
Elftes Capitel,
in dem die Quiquendonianer einen heroischen Entschluß fassen.
Man hat gesehen, in welchem bedauernswürdigen Zustand sich die Bevölkerung von Quiquendone befand. Die Köpfe waren in Gährung;
man kannte sich
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