Eine Idee des Doctor Ox
Körper an einander prallten.
Wie war ein so plötzlicher Stimmungswechsel möglich? wie konnten sich diese beiden, oben noch so friedlichen Schaafe zweihundert
Fuß tiefer in Tiger wandeln?
Wir wissen das Räthsel nicht zu lösen; als aber der Thurmwächter, von einem lauten Geschrei aufgescheucht, die Thür zur Treppe
öffnete, sah er Bürgermeister und Rath mit argen Quetschungen und Contusionen herankommen. Sie rauften einander aufs Jämmerlichste
an den Haaren, die glücklicher Weise nur an Perrücken saßen, und ihre Augen quollen ihnen fast aus den Köpfen.
»Sie sollen mir Genugthuung geben! rief der Bürgermeister, und versetzte seinem Gegner einen wuchtigen Faustschlag unter die
Nase.
– So wie es Ihnen beliebt!« heulte Rath Niklausse, indem er mit seinem rechten Bein eine fast unglaubliche Schwenkung ausführte.
Der Wächter war gerade selbst in erbitterter Stimmung – »warum«, wäre wohl schwer zu sagen gewesen, – und fand deshalb diese
stürmische Scene ganz in der Ordnung. Ich weiß nicht, welche persönliche Ueberaufregung ihn dazu trieb, sich in dieSache zu mischen, er wußte sich jedoch zu beherrschen, und begnügte sich im Stadtviertel die Nachricht zu verbreiten, daß
zwischen dem Bürgermeister van Tricasse und dem Rath Niklausse nächstens ein Zweikampf statthaben würde.
Vierzehntes Capitel,
in dem die Dinge so weit getrieben werden, daß die Einwohner von Quiquendone, die Leser und sogar der Verfasser auf sofortige
Lösung dringen.
Bis zu welchem Grade die Exaltation der quiquendonianischen Bevölkerung sich erheben konnte, ist wohl genugsam durch den zuletzt
mitgetheilten Vorfall bewiesen. Die beiden ältesten Freunde der ganzen Stadt, sie, die vor Eindrang des Uebels die Sanftmuth
selbst waren, hatten sich zu einem solchen Act der Gewalt hinreißen lassen, und zwar nur wenige Minuten, nachdem ihre alte
Sympathie, ihre liebenswürdige Nonchalance, ihr beschauliches Temperament oben auf dem Thurme die Oberhand gewonnen hatten.
Als Doctor Ox von diesem Vorgang erfuhr, konnte er seine Freude kaum beherrschen und lehnte sich entschieden gegen die Ansicht
seines Famulus auf, der ihn um Mäßigung bat und prophezeite, daß die Sache ein böses Ende nehmen würde.
Uebrigens waren Doctor Ox und sein FamulusYgen der allgemeinen Exaltation ebenso wohl unterworfen wie die ganze übrige Bevölkerung, und es kam bei ihnen zu einem Zank,
wie heute Morgen zwischen dem Bürgermeister und Rath.
Außerdem müssen wir hier bemerken, daß sich gegenwärtig alle Interessen in einer Frage concentrirten, und so jede feindliche
Begegnung, die nicht mit der Virgamenischen Angelegenheit zusammenhing, vorläufig in den Hintergrund geschoben wurde. Niemand
durfte daran denken, sein Blut unnütz zu vergießen, so lange es bis auf den letzten Tropfen dem von Gefahr bedrohten Vaterland
gehörte.
Die Umstände waren wirklich bedenklich geworden; man konnte sich dem nicht mehr verschließen.
Der Bürgermeister van Tricasse war, trotz all seiner kriegerischen Gluth, der Meinung gewesen, man dürfe den Feind nicht überfallen,
ohne ihn vorher zu benachrichtigen. Er hatte also durch das Organ des Feldhüters, Herrn Hottering, die Virgamener feierlichst
ersuchen lassen, ihm Genugthuung für die im Jahre 1185 am Territorium von Quiquendone begangene Rechtsübertretung zu gewähren.
Die Behörden in Virgamen hatten jedoch nicht errathen können, um was es sich handle, und der Feldhüter war trotz seines officiellen
Charakters auf sehr cavaliermäßige Weise an die Luft gesetzt worden.
Van Tricasse sandte nun den Adjutanten des Conditor-Generals, den Bürger Hildevert Shuman, ab, der ein Gerstenzuckerfabrikant
und sehr fester, energischer Mann war; dieser sollte den Behörden Virgamens die genaue Urkunde nebst dem durch die Sorgfalt
des Bürgermeisters Natalis van Tricasse im Jahre 1185 aufgenommenen Protokoll bringen.
Die Behörden von Virgamen aber brachen inein schallendes Gelächter aus, und es erging dem Adjutanten nicht um ein Härchen besser als Herrn Hottering, dem Feldhüter.
Nun setzte der Bürgermeister für die Notabeln der Stadt eine Versammlung an; ein kräftig redigirter Brief wurde in Gestalt
eines Ultimatums abgefaßt, der casus belli darin klar dargelegt und gehörig beleuchtet, und schließlich der schuldigen Stadt
eine Frist von vierundzwanzig Stunden gewährt, um die Quiquendone angethane Beleidigung wieder gut zu machen.
Der Brief ging ab, kam
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