Eine Japanerin in Florenz
nur, weil er wie gewöhnlich nur zwei Scheiben trockenen Toast gefrühstückt hatte.
»Natürlich meint sie es nur gut.«
»Natürlich!«
Was für ein Gesprächsthema! Der Maresciallo trank den Kaffee aus und bezahlte.
Allerdings kam er kaum zur Tür hinaus, weil eine lange Schlange schubsender und schreiender Schulkinder den schmalen Gehsteig blockierte. Einer Frau, die sich in die Schlange einzureihen versuchte, riß der Geduldsfaden. »Heutzutage dürfen sie Randale machen, wie es ihnen gerade einfällt! Es ist eine Schande!«
Der Maresciallo verschanzte sich hinter seiner Sonnenbrille und schwieg. Wann sollten Kinder denn sonst herumtoben, wenn nicht in diesem Alter? Beim Anblick seiner Uniform neigten die Leute dazu, ihm für alles die Schuld zu geben, von tobenden Schulkindern über den Krieg im Irak bis hin zu nicht funktionierenden Laternen. Letztere Würden aber zweifellos die Straße bald wieder in helles Licht tauchen, da Wahlen vor der Tür standen. Der Maresciallo schloß sich dem Ende der Schülergruppe an, die die Via Guicciardini hinunter in Richtung Ponte Vecchio marschierte. Der Akzent der Kinder ließ darauf schließen, daß sie irgendwo aus dem Norden Italiens kamen, wahrscheinlich ein Schulausflug … Die Leute erwarteten einfach von ihm, daß er sich um alle Probleme kümmern und ›es‹ schon richten würde.
Ein großer, rotgesichtiger Mann kam auf ihn zu, bahnte sich mal auf dem Randstein, mal auf der Straße zwischen den drängelnden Kindern und hupenden Autos einen Weg und versuchte gleichzeitig, eine bettelnde Zigeunerin abzuschütteln, die ihn an seiner Kleidung festzuhalten versuchte. Der Maresciallo blieb stehen und blickte sie durch die Sonnenbrille hindurch ostentativ an. Die Zigeunerin reagierte sofort und verschwand, um sich woanders ein neues Opfer zu suchen. Gegen so aggressive Bettelei mußte etwas unternommen werden, aber was? Vor ihm ging ein dicker Junge, der von seinen Mitschülern herumgeschubst und gehänselt wurde. Er erinnerte ihn ein wenig an Giovanni, seinen ältesten Sohn. Totò, der jüngere, gewitztere und lebhaftere, war ihm deutlich überlegen. Giovanni, der seinem Vater in so vielen Dingen ähnelte, besaß daher sein Mitgefühl und Verständnis, Totò hingegen seine Bewunderung.
Der Maresciallo blieb erneut stehen. Eine hübsche Verkäuferin leerte einen Eimer Putzwasser über die holprigen Pflastersteine vor einem Lederwarengeschäft und schrubbte die Reste auf die Straße.
»Entschuldigung.«
»Schon gut, schon gut. Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Er genoß den feinen Lederduft in der Luft. Das Mädchen lächelte ihn freundlich an und kehrte mit dem Eimer in den Laden zurück.
Die Kinder waren weitergezogen, pflügten eine Schneise in die Touristenmenge auf der Brücke. Der Maresciallo wandte dem Lärm und dem Sonnenschein den Rücken zu und tauchte in den Schatten einer schmalen Gasse zu seiner Linken ein.
In letzter Zeit wählte er immer diese Abkürzung zur Via Maggio mit den berühmten Antiquitätengeschäften. Die Gasse war für Autos gesperrt, und so lief er einfach in der Mitte. Trotz des Hämmerns und Hobelns, der Radiomusik und munterer Gesprächsfetzen konnte er seine Schritte auf dem holprigen Pflaster hören. Vertraute Gerüche von Firnis und Leim, frischen Sägespänen und Senkgruben verdrängten die Abgaswolken der Hauptstraße. Ziemlich genau im gleichen Abstand zu den beiden Hauptstraßen mündeten vier dieser kleinen Gassen in eine winzige Piazza. Sie wirkte ein wenig ungeordnet und hatte lange Zeit nicht mal einen Namen gehabt. Erst vor kurzem hatten sich die Anwohner auf einen geeinigt und ein selbstgebasteltes Schild aufgehängt. Diese Piazza war nicht das Werk eines florentinischen Architekten, sondern das von Bomben und Landminen aus der Zeit, als die Deutschen sich aus Italien zurückzogen. Piloten der Luftwaffe, die den Auftrag hatten, den Ponte Vecchio zu bombardieren, zielten sehr genau, um diesen zu verfehlen. Das Ergebnis ihrer ›Verfehlungen‹ war die Zerstörung der Gebäude zu beiden Seiten der Brücke und diese Piazza. Damals wurde ein Haus an der Kreuzung vermint, um den Zugang zu den Straßen zu versperren, die zur einzigen ›überlebenden‹ Brücke über den Arno führten. Doch sehr bald schon wirkte diese Piazza mit den Straßencafés und Blumentopfhecken wie ›gewollt‹. An Fenstern und braunen Blendläden hingen Flaggen in Regenbogenfarben für den Frieden, violette Flaggen für den heimischen Fußballklub acf
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