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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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in den kleinen Raum, der von einem niedrigen Doppelbett beherrscht wurde. Zur Einrichtung gehörten außerdem eine Stehlampe, eine Kommode, ein Regal und ein kleiner Frisiertisch mit einem Spiegel.
    An der Wand hingen drei japanische Drucke. Auf jedem war ein Ochse dargestellt. Ich hatte solche Drucke schon einmal gesehen, sie hatten irgendwas mit dem Zen-Buddhismus zu tun. Der Ochse symbolisiert das Hirn, das gezähmt und kultiviert werden muß, um zur Erleuchtung zu gelangen.
    Und etwas anderes kam mir bekannt vor, etwas, was ich schon einmal gesehen hatte.
    Ich ließ mich unvermittelt auf das Bett sinken. Die Bilder hingen alle schief.
    »Was ist los mit dir, Alice? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
    »Diese Bilder hängen schief«, gab ich zurück.
    »Ja und?«
    »Der Van Gogh-Druck in Jack Tyres Apartment hing auch schief.«
    »Jede Menge Bilder an jeder Menge Wänden hängen schief, Alice. Das ist der Lauf der Welt.«
    Ich ignorierte seine Bemerkung. »Tony, kannst du dich an diesen alten Kinderreim erinnern, in dem alles schief und krumm ist? Er heißt Ein krummer Mann mit Buckel .«
    »Ich war nie ein großer Leser, Alice.«
    Ich sagte ihm den Reim auf:
    Ein krummer Mann mit Buckel,
er glaubt’ es selber kaum,
fand ein verbeultes Goldstück
an einem schiefen Zaun.
Er kauft 'ne krumme Katze,
die fängt ’ne Buckelmaus,
dann wohnen sie zusammen
in einem schiefen Haus.
    Tony blickte mich an. Dann richtete er schnell die Bilder gerade und setzte sich neben mich auf das Bett.
    »So, das wäre erledigt, Alice.«
    »Nichts ist erledigt, Tony. Begreifst du denn gar nichts?«
    »Was soll ich denn begreifen?«
    »All diese komischen kleinen Details: Spielzeugmäuse und schiefe Bilder und Blattsträußchen und Katzen, die bei inexistenten Nachbarn verschwinden, und schäbige Wohnungen, die als Kultstätten dienen. Kapierst du das denn nicht?«
    »Was soll ich kapieren?« sagte er.
    Ich konnte ihm nicht antworten. Ich legte mich auf das Bett. Siebzehn wundervolle Menschen hatten in Schmerz und Angst umkommen müssen. Warum?
    Tony legte sich neben mich. In dem Augenblick, als er seine Hand auf mein Gesicht legte, wußte ich, daß wir wieder miteinander schlafen würden, und zwar hier, auf Jill Bonaventuras Bett.
    Danach lagen wir noch lange im Bett. Keiner von beiden sagte ein Wort. Die Dämmerung begann uns einzuhüllen. Ab und zu hörte ich ein Geräusch. Es hörte sich an, als ob Jills Katze Missy hier irgendwo herumkrabbelte - die große weiße Katze, die sie so sehr geliebt hatte.
    Schließlich sagte Tony: »Laß uns hier abhauen.«
    »Noch nicht, Tony. Ich möchte noch einen Blick auf diese Rechnungen in der Küche werfen. Die, auf deren Rückseite sie die Nachrichten für ihre Katze geschrieben hat.«
    Tony stöhnte. »Nicht mal du schreibst deinen Katzen Zettel.«
    »Woher willst du das denn wissen?«
    Er antwortete nicht. Wir zogen uns eilig an. Und wieder hatte ich das Gefühl, daß Tony im Grunde nicht mein Liebhaber war, obwohl wir miteinander geschlafen hatten. Alter? War es das Alter? Betrachtete ich Sex jetzt endlich nur noch als reine Funktion? Als eine hygienische Maßnahme? Meine Güte!
    Die Rechnungen waren an eine kleinen Pinnwand in der Küche geheftet. Sie waren neun Jahre alt. Rechnungen von Lebensmittelläden, Drogerien und der Reinigung.
    »Ich wüßte ja gerne, ob der Bruder sie bezahlt hat«, sagte Tony.
    Ich nahm die Rechnungen ab und breitete sie auf dem Tisch aus. Auf der Rückseite jedes Zettels war eine traurige, alberne Botschaft für die Katze. Jede fing mit »Liebe Missy« an. Dann kam: »Ich hoffe, Dein Essen schmeckt Dir. Wie findest Du diesen Text?« Und dann folgte eine Strophe oder vielleicht auch zwei von dem Lied, an dem sie gerade arbeitete - in der Regel handelten sie von Liebe und glasklaren Bergbächen oder von Ehemännern, die im Krieg ihr Leben ließen. Die Texte waren ziemlich rührselig und abgedroschen, aber einige waren ganz hübsch.
    Ich konnte Jill Bonaventura förmlich vor mir sehen, wie sie die Zettel schrieb und dann unter den Freßnapf der Katze schob. Ja, es war ganz einfach, sich diese Szene vorzustellen. Albern, aber irgendwie liebenswert. Das ist genau die Art von unerklärlichem Benehmen, das Katzen mit ihren wundervollen Eigenarten einfach herausfordern. Sie machen aus den Menschen liebenswerte Idioten.
    Die letzte Rechnung war zwei Tage vor Jills Tod ausgestellt worden. Es war eine Apothekenrechnung, ich konnte die Schrift des

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