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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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hier nichts für uns zu tun. Verstehst du das denn nicht, Tony? LaMaMa ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Die Wooster-Group hat sich aufgelöst. Dionysus ’69 ist nur noch eine Erinnerung. Und deshalb mache ich mir Sorgen, daß du alles hinschmeißen und zum Theater zurückkehren willst. Tony, ich kriege doch schließlich auch keine Rollen mehr, weil es für so was kein Publikum mehr gibt. Und bei dir wird das nicht anders sein.«
    »O ihr, die ihr schwankend im Glauben seid«, antwortete er und rührte nachdenklich in seinem Kaffee.
    Plötzlich tauchte im Fenster hinter Tony das große, traurige Gesicht von Karl Bonaventura auf.
    Wir verließen den Coffee-Shop schnell und gingen zusammen mit Karl zu Fuß zur Wohnung seiner Schwester. Sie lag in einem dieser großen alten Apartmenthäuser, die den Broadway säumen, deren Eingänge aber in Seitenstraßen liegen.
    In dem Augenblick, als ich die Wohnung betrat, war mir klar, daß Karl, so deprimierend es auch war, die Wahrheit gesagt hatte. Ganz offensichtlich war hier in neun Jahren nichts angerührt worden. Sogar die Klamotten, die Jill vor ihrem Tod auf einen Stuhl gelegt hatte, waren noch da. Das Apartment machte den Eindruck, als könne seine Bewohnerin jede Minute zur Tür hereinkommen und ihr Leben fortsetzen.
    Ich setzte mich schnell. Der Gedanke, daß ich das Heiligtum betreten hatte, das Karl Bonaventura seiner Schwester errichtete hatte, machte mich ganz schwach.
    Das Apartment war klein. Ein Wohnzimmer, ein kleines Schlafzimmer, Bad und Küche. Offenbar waren dies früher Wohnungen gewesen, die das ganze Stockwerk eingenommen hatten und die später immer weiter geteilt worden waren, so wie das in vielen Häusern an der West Side geschehen ist.
    »Hier ist nichts angerührt worden, außer natürlich zum Saubermachen«, sagte Karl, und in seinem Gesicht lagen ein wenig Scham, ein wenig Trotz und sehr viel Trauer. Ich warf Tony einen kurzen Blick zu, der von dieser seltsamen Atmosphäre ebenfalls überwältigt schien.
    »Nur die sind neu«, sagte Karl und zeigte auf eine Vase voller frischer Nelken - rote und weiße - auf dem kleinen Couchtisch.
    »Manchmal bringe ich ihr Blumen mit«, sagte er.
    Tony blickte mich an. Wir dachten beide dasselbe.
    Dieser große Mann hier hatte höchstwahrscheinlich einen ernstzunehmenden Dachschaden. Es war schlicht unmöglich, daß jemand neun Jahre mit solcher Intensität trauerte und sich weigerte, die Realität zu akzeptieren.
    Ich ließ meinen Blick umherschweifen. Jill hatte eine Vorliebe für kräftige, klare Farben gehabt. Die Möbel waren alle aus zweiter Hand - aus dem Computer wußte ich, daß Jill zum Zeitpunkt ihres Todes arbeitslos gewesen war -, aber sie waren mit bunten Stoffen bezogen. Die Lampenschirme waren ganz besonders farbenfroh - manche hatten sogar blaue, weiße, orange und rote Streifen.
    »Wie verdiente Jill ihren Lebensunterhalt?« fragte ich.
    »Sie ist Songwriterin«, sagte der Bruder. »Im Moment ist es nicht leicht für sie. Sie schafft den Durchbruch einfach nicht. Sie hat alle möglichen komischen Jobs - Kellnerin, Schreibkraft, Sie wissen schon.«
    Es berührte mich sehr unangenehm, ihn so im Präsens sprechen zu hören - als ob seine Schwester noch leben würde.
    »Welche Art Songs schreibt sie denn?«
    »Nicht diesen Rock-’n’-Roll-Schrott«, erklärte Karl und rieb seine großen kräftigen Hände aneinander.
    »Sehr schöne Lieder - Folksongs. Ich glaube, so würde man das nennen, Folksongs.«
    »Haben Sie sie manchmal finanziell unterstützt?«
    »Sie will keine Hilfe von mir annehmen. Ich biete es ihr immer wieder an, aber sie lehnt ab. Nur einmal im Jahr nimmt sie etwas an.«
    »Was heißt das, einmal im Jahr? Zu Weihnachten?« insistierte ich.
    »Nein. Das war komisch. Einmal im Jahr brauchte sie immer zweitausendfünfhundert Dollar.«
    »Wofür?«
    »Das hat sie nie gesagt. Sie brauchte das Geld einfach. Und sie wollte es auf eine ganz bestimmte Weise: Sie wollte fünfundzwanzig Hundert-Dollar-Scheine.«
    »Fanden Sie das denn nicht komisch?« fragte Tony.
    »Natürlich, das war ja auch merkwürdig. Aber sie wollte das Geld, also habe ich es ihr gegeben. Ich hätte ihr noch viel mehr gegeben.«
    »Sie haben ihr also jedes Jahr dieses Geld gegeben?«
    »Na ja, also in dem Jahr, als sie starb, und das Jahr davor, und das Jahr davor, also alles in allem drei Jahre lang.«
    Das waren sonderbare Neuigkeiten. Ich wußte nicht, was ich davon zu halten hatte.
    Also wechselte ich

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