Eine Katze im Wolfspelz
hat, ohne irgendeine Fährte aufnehmen zu können, und jetzt plötzlich mit Dutzenden von Fährten konfrontiert ist, weil ein Kleidungsstück des Gejagten nach dem anderen auftaucht.
»Wo war dein Arbeitszimmer, Alice?«
»Ich habe in einer kleinen Kammer am Ende des Flurs gehockt, in der Nähe des Computerraums.«
»Das hier ist wirklich eine ganz schön deprimierende Umgebung.«
Ich nickte und schloß die Augen. Der Stuhl war nicht unbequem. Die Katzengöttin Bast kam mir immer wieder in den Sinn. Vor meinem inneren Auge lief eine Art Modenschau ab, und bei jedem Auftritt auf dem Laufsteg trug sie ein anderes Katzengesicht.
Endlich kam Judy Mizener aus ihrem Büro und schaute uns beide ungehalten an.
»Ich habe wirklich sehr viel zu tun«, sagte sie.
»Es ist wichtig.«
»Ehrlich gesagt, ich sehe es überhaupt nicht gern, wenn ehemalige Angestellte von Retro hier herumhängen. Hätte man das nicht telefonisch erledigen können?«
»Nein«, sagte ich und stand auf. Ich war fest entschlossen, mich nicht abweisen zu lassen.
»Na gut. Kommen Sie rein.«
Tony und ich betraten ihr kleines, vollgestopftes Büro. An den Wänden stapelten sich verschiedenfarbige Aktenordner.
Ich stellte ihr Tony vor. Sie nickte und glitt hinter ihren Schreibtisch.
»So, was kann ich also für Sie tun?« fragte sie.
Ich fing an zu erzählen, dann unterbrach ich mich wieder. Hier galt es, vorsichtig vorzugehen. Ich mußte Judy Mizener dazu bringen, sofort mit in die Höhle zu kommen. Aber wenn ich von einer alten Sonnengöttin mit Katzenkopf erzählte, die auf der Wand einer Höhle im Central Park dargestellt war, würde sie wieder meinen, daß ich spinne. Also mußte sie Bast selbst sehen - in der Höhle. Sie mußte die Gesichter der Katzen der Opfer sehen.
Daher sagte ich ganz einfach: »Wir sind ganz kurz davor, den Fall aufzuklären.«
Sie antwortete nicht und blickte mich prüfend an, als ob sie sich einen Eindruck von meiner geistigen Gesundheit und meiner Glaubwürdigkeit verschaffen wolle. Dann schaute sie Tony an, ließ ihren Blick langsam von oben nach unten gleiten, als ob er sich hier bei einem Vorstellungsgespräch befände.
»Ach wirklich?« antwortete sie schließlich kühl und ironisch.
Ich sprach weiter. »Wir haben einen Beweis gefunden; den wichtigsten Beweis bisher.«
»Und wo ist der?«
»Er ist nicht transportabel. Sie müssen mit uns kommen und einen Fotoapparat mitnehmen.«
»Was ist es denn?«
»Das ist sehr schwer zu beschreiben.«
»Versuchen Sie’s trotzdem.«
»Ich würde lieber darauf verzichten. Ich glaube, das beste ist, wenn Sie einfach mitkommen.«
Judy Mizener wurde wütend: »Wissen Sie, ich kann nicht jedesmal aus meinem Büro rennen, wenn irgend jemand mit einem vermeintlichen Beweis hereinschneit.«
»Sie sollten wirklich mit uns kommen«, sagte Tony ruhig.
»Will Ihr Freund mich jetzt bedrohen?« fragte Judy Mizener mich verwundert.
»Er versucht nur zu helfen.«
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Sie nahm schnell ab und sagte ein paar Worte - irgend etwas über den Computer -, dann knallte sie den Hörer auf die Gabel.
»Wie lange meinen Sie denn wird es dauern?« fragte sie mich.
»Wir nehmen ein Taxi. Ungefähr zwei Stunden, denke ich.«
Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, nahm einen Bleistift und begann, damit auf das Telefon zu klopfen. Es war schon seltsam. Ich kam mir vor wie ein Regisseur, der versucht, einen großen Star dazu zu bewegen, eine bestimmte Rolle eindringlicher zu spielen. Aber ich kannte sie einfach nicht gut genug, um den richtigen Dreh zu finden. Sollte ich zur Sonnengöttin Bast beten? Das war ja noch absurder. Warum hatte ich mich nicht von Anfang an mit dieser Frau gut gestellt? Warum waren Judy Mizener und ich keine Freundinnen geworden?
Tony löste das Problem auf originelle Weise. Die Spannung in diesem Büro war einfach zuviel für ihn, also sprang er auf und fing an, eine seiner Paraderollen zu spielen. Er tat so, als sei er einer dieser fanatischen Laienprediger. »Schwester«, brüllte er Judy Mizener an, »ich bringe dir das Heil! Ich werde dich befreien! Ich werde die Gitterstäbe deines Gefängnisses für dich aufbrechen!« Judy Mizener starrte mich an, als ob ich meinen übergeschnappten Freund zur Vernunft bringen solle. Dann brach sie in Gelächter aus und sagte: »Okay. Ich komme mit. Befreien Sie mich in Gottes Namen.« Zehn Minuten später verließen wir drei das Retro-Gebäude, nicht gerade Arm in Arm, aber
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