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Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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gekommen, daß Jo in die Bank wollte. Ich war der Meinung gewesen, sie hätte das Bankgebäude nur als Treffpunkt ausgesucht. Aber offensichtlich wartete sie darauf, daß aufgemacht wurde. Sie sah schrecklich aus – erschöpft, nervös, hilflos. Sie packte meinen Arm und hielt ihn fest.
    Als die Bank öffnete, folgte ich Jo hinein. Wir liefen eine Treppe hinunter und bis vor eine große Glastür, die von innen verschlossen war. Jo drückte auf einen Summer. Die Tür ging auf, und ein älterer Mann in einer grauen Jacke mit einer weißen Nelke im Revers führte uns in den Sicherheitstrakt, wo sich der Tresorraum und die Schließfächer befanden. Jo unterschrieb ein Formular und reichte dem Mann einen Schlüssel. Er verschwand im Tresorraum und kam kurz darauf mit einer großen stählernen Kassette zurück, die er in den hinteren Teil des Raumes trug, in dem wir uns aufhielten. Jo und ich folgten dem Mann.
    Wir betraten ein kleines Zimmer, in dem nur ein langer Tisch und drei Stühle standen. Der Mann stellte die Kassette auf den Tisch, verließ das Zimmer und schloß die Tür hinter sich.
    Jo und ich saßen da und starrten die Kassette an. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte.
    Schließlich sagte Jo: »Ich war gestern schon hier, um Harrys Testament zu holen. Wußtest du eigentlich, daß ich seit fünfzehn Jahren keinen Blick mehr in unser Schließfach geworfen habe?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Ich hatte nie eins.«
    Sie seufzte. »Schließfächer sind wenigstens sicher. Würdest du mir den Gefallen tun und die Kassette für mich öffnen, Alice?«
    Ich beugte mich vor, ließ den stählernen Verschlußriegel aufschnappen, hob den schweren Deckel an – und riß die Augen auf. In der Kassette lag mehr Geld, als ich je im Leben auf einem Haufen gesehen hatte. Die Kassette war bis obenhin mit gebündelten Hundertdollarscheinen vollgepackt; die Bündel wurden von Gummibändern gehalten.
    »Siehst du das? Siehst du das?« fragte Jo mit beinahe hysterischer Flüsterstimme.
    Ich strich mit der Hand über die oberste Lage der Banknotenbündel, ließ sie behutsam über die Geldscheine gleiten.
    »Dreihundertachtzigtausend Dollar, Alice. Dreihundert-und-achtzig-tausend! Woher hatte Harry so viel Geld? Warum hat er mir nichts davon gesagt? Wie ist er an das Geld herangekommen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Angesicht dieser Summe konnte ich mir die Antwort nicht einmal zusammenreimen.
    »Weißt du, was ich glaube, Alice? Ich glaube, Harry wurde dieses Geldes wegen ermordet. Das ist der Grund, bestimmt!« Sie schlug den Deckel der Kassette zu.
    »Hast du der Polizei schon von dem Geld erzählt?« fragte ich.
    »Nein, ich…«, erwiderte sie, hielt inne und blickte mich an; dann sagte sie: »Zuerst wollte ich’s. Aber dann habe ich mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Ich werde der Polizei nichts von dem Geld erzählen. Weißt du, Alice, Harry und ich besaßen keinen Cent. Alles war mit Hypotheken belastet. Wir haben ein Heer von Gläubigern. Ich bin sicher, daß Harry mit diesem Geld unsere Schulden bezahlen und dafür sorgen wollte, daß uns Haus und Grundstück endlich schuldenfrei gehören. Es wäre Harrys Wunsch gewesen, daß ich das Geld dafür verwende. Ich habe zwar keine Ahnung, wie er an dieses Vermögen gekommen ist, aber ich weiß, daß er das Geld für sich selbst und für mich bestimmt hatte, und für die Katzen und die Kutschpferde. Das hier war sein Weihnachtsgeschenk an uns alle. Wenn ich zur Polizei gehe, wird man das Geld beschlagnahmen, und wenn mir überhaupt was davon bliebe, würde die Hälfte für die Steuer draufgehen. Verstehst du, was ich meine, Alice? Ich bin kein Dieb. Ich weiß nur, daß es Harrys Wunsch gewesen wäre.«
    »Und er hat dir nie etwas von dem Geld erzählt, Jo?« fragte ich skeptisch.
    »Nie. Kein Wort. Ich schwöre es, Alice. Er hat nie etwas davon gesagt.« Jo stand auf, drückte die Handflächen links und rechts an den Kopf und fragte: »Glaubst du, Harry hat eine Bank ausgeraubt? Armer Harry. Vielleicht hat er es wirklich getan, weil er für uns alle ein Weihnachtsgeschenk haben wollte. Ich weiß noch, wie schlimm es war, als wir vor ein paar Monaten das Heizöl nicht bezahlen konnten. Ich hatte das alles so satt, daß ich zu Harry gesagt habe: Harry, ich möchte am liebsten sterben. Da hat er mir einen Kuß auf die Stirn gegeben und erklärt, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen.«
    Sie fing an zu weinen; dann aber riß sie sich zusammen

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