Eine Katze kommt selten allein
hatte ich Harrys Leiche entdeckt – aber warum sollte ich dort nicht auch seinen Mörder finden?
5
Ich verließ das Cottage und ging mit eiligen Schritten zum Haupthaus. Es war ein nasser, kalter, diesiger Morgen. Die Bäume sahen bedrohlich aus – nackt und gefährlich schienen sie über dem Anwesen zu schweben. Doch ich hatte keine Bedenken, das Cottage zu verlassen, denn Pancho und Bushy hatten es sich darin schön gemütlich gemacht, wenngleich Pancho über den eklatanten Mangel an möglichen Verstecken und Fluchtwegen höchst erstaunt zu sein schien. Er mußte sich als Fluchtweg eine Art Rundkurs einfallen lassen.
»Bist du das, Alice?« rief Jo mir aus der Küche entgegen, als ich das Haus betrat.
Dann erschien sie auch schon, in einem lächerlichen Aufzug. Sie hatte sich eine große lederne Schürze mit tiefen Taschen umgebunden – eine Schürze, wie ein Hufschmied sie tragen mochte –, und um ihren Hals lag ein großes, fadenscheiniges Trockentuch. »Du kommst gerade zur rechten Zeit. Ich mache uns Eier zum Frühstück«, sagte sie.
Auf Jos altersschwachem Küchentisch mit seinen wackligen, zerkratzten Holzbeinen lagen in wirrer Unordnung die verschiedensten Haushaltsgeräte, als müßte sie statt eines bescheidenen Frühstücks für zwei Personen ein größeres Festessen bereiten. Sie zeigte auf das Durcheinander und sagte: »Früher hat Harry immer die Eier gebraten. Er hat gesagt, ich wüßte nicht, wie man Eier richtig brät, verrührt oder pochiert. Ich könnte nicht mal Eier kochen . Ich weiß bis heute nicht, ob er das ernst gemeint hat. Tja, aber jetzt stehe ich ohne Harry da, also bleibt mir nichts anderes übrig, als uns die Eier zum Frühstück zu machen. Wie möchtest du sie gern haben, Alice?«
»Rühreier wären nicht schlecht, Jo«, erwiderte ich und setzte mich an den Tisch, um sie in ihrer riesigen, vollkommen überflüssigen Lederschürze zu beobachten. Es gehörte zu den Eigenheiten der Starobins, daß sie ihre Angelegenheiten manchmal auf absonderliche Weise erledigten.
Behutsam, beinahe mühsam schlug Jo fünf Eier in einen Unterteller und rührte sie mit einem Schneebesen durch, wobei sie die Hufschmied-Schürze immer wieder behinderte. Als sie mit dem Umrühren fertig war, ließ sie sich erschöpft in einen Stuhl fallen.
Zwei der langhaarigen Himalayan-Katzen kamen herbeigelaufen; eine sprang auf Jos Schoß, die andere auf ihren Rücken. Zwei andere waren mit einem Satz auf dem Tisch und stöberten neugierig in dem Chaos herum. Eines der Tiere beschnupperte meinen rechten Fuß. Binnen Sekunden wechselten sämtliche Katzen in einem makaberen Reise-nach-Jerusalem-Spiel die Plätze; dann stürmten sie aus der Küche.
»Gott, bin ich müde«, sagte Jo und begann zu schluchzen, unterdrückte jedoch die Tränen und stand auf. »Weißt du, ich muß jetzt viele von den stupiden Arbeiten im Stall und auf dem Hof erledigen. Das ist nicht leicht für eine alte Frau wie mich. Ich habe seit zehn Jahren keinen Stall mehr ausgemistet.«
»Was ist mit Ginger?«
»Ach«, sagte Jo, warf den Schneebesen in die Höhe, daß er sich in der Luft überschlug, und fing ihn wieder auf. »Sie ist vor zwei Tagen fortgegangen.«
»Fortgegangen? Wohin denn?«
»Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Sie hat gekündigt.«
Das kam völlig unerwartet. Ich hatte damit gerechnet, daß Ginger blieb, und sei es auch nur, um ein wenig von ihrer Schuld abzutragen, Harrys Geliebte gewesen zu sein.
»Hat Ginger gesagt, warum sie gekündigt hat?«
Jo ging zum Herd und ließ in einer Pfanne Butter aus. Ich konnte sehen, daß sie viel zuviel Butter in die Pfanne gegeben hatte.
»Nein, das hat sie mir nicht gesagt«, erwiderte Jo schließlich und starrte gedankenvoll auf die schmelzende Butter, »aber ich weiß, warum sie fortgegangen ist. Aus Trauer. Harry war wie ein Vater für sie. Und Ginger war wegen Veronica traurig, der Stallkatze. Aber das war dumm von ihr. Unsere Stallkatzen verschwinden immer wieder, manchmal für Monate. Besonders, wenn sie Junge haben. Wahrscheinlich treibt Veronica sich mit ihren Jungen zur Zeit bei irgendeinem Nachbarn herum und ist glücklich und zufrieden, bis sie es eines Tages satt hat und wieder hier auftaucht. Ich habe Ginger gesagt, was auch Harry ihr immer wieder gesagt hat – daß Katzen Erdbeben und andere Naturkatastrophen spüren können, lange bevor sie eintreten. Und dann machen die Tiere sich aus dem Staub. Ich habe Ginger gesagt, daß Veronica wahrscheinlich
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