Eine Kerze für Sarah - und andere Geschichten, die das Herz berühren
Sarah, sind wir beide dran“, wies er sie an. Langsam führte er seine Flamme zu ihrer.
Als Letzte ließen Lehrerin und Schülerin ihre Flammen miteinander verschmelzen. Helen sah, dass Sarah es geschafft hatte, ihr neues Weihnachtskleid mit heißem Wachs zu bekleckern – aber sie sah auch, dass im Halbdunkeln die Augen des Kindes wie Kerzen leuchteten.
Nach der Kerzenzeremonie und den Weihnachtstagen verlief der Rest der Ferien ohne besonderen Höhepunkt. Helen hatte vorgehabt, viel zu lesen und das Versäumte aufzuholen, doch sie nutzte die Zeit, um die Kleider für Sarah zu ändern und sich besondere Unternehmungen für sie auszudenken. Trotz all ihrer Bemühungen drückte Sarahs Haltung weiterhin aus: „Ich werde niemals zu euch gehören. Lasst mich doch einfach zusehen.“
Zwei Tage vor Ferienende rief schließlich die Vermieterin an, um mitzuteilen, dass Sarah nach Hause kommen könne, da ihr Vater zurückgekehrt sei. Sarah verabschiedete sich nicht von den Kindern und zeigte auch kein Bedauern darüber, gehen zu müssen, stattdessen stieg sie mit ihrem nun viel größeren Bündel einfach ins Auto.
War es das wert ?, fragte sich Helen, als sie Wallace nachsah. Sie erinnerte sich an die wenigen privaten Augenblicke, die sie mit Wallace hatte teilen wollen, während dieses seltsame kleine Mädchen jede ihrer Bewegungen verfolgt hatte, erinnerte sich daran, wie sie über Familienwitze gelacht und dann plötzlich aufgehört hatten, weil ihnen klar geworden war, dass Sarah ausgeschlossen war. Sie war nicht einmal sicher, ob Sarah überhaupt zu ihnen hatte kommen wollen. Vielleicht hatte sie Freunde im Kinderheim. Vielleicht hätte sie dort eine schönere Zeit verlebt . Es gibt so vieles , dachte Helen, als sie sich vom Fenster abwandte, das ich nie werde verstehen können .
Der erste Schultag war ein typischer grauer Januartag. Irgendwie fühlte sich Helen innerlich genauso traurig und grau wie dieser Tag, obwohl sie bewusst das rote Jerseykleid angezogen hatte, das sie nach Weihnachten so günstig im Ausverkauf erstanden hatte. Die meisten Kinder trugen neue Kleider, die sie zu Weihnachten bekommen hatten, und auch Sarah erschien in ihrem neuen Weihnachtskleid. Zu dem Kerzenwachs waren nun noch Eierflecken gekommen. Und offensichtlich hatte sie die neue Haarbürste nicht unbedingt überstrapaziert.
Es hat sich nicht gelohnt , sagte Helen zu sich selbst. Keines ihrer Erlebnisse hatte Sarah beeindruckt – nichts würde einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen und ihr Leben reicher machen. Sie und Wallace, Mike und Susan hatten die Rolle von Babysittern übernommen und dem Mädchen zusätzlich etwas warme Kleidung beschafft. Das war alles und sie konnte es damit abschreiben und vergessen.
Aber die Kinder in ihrer Klasse waren noch nicht bereit, Weihnachten zu vergessen. Helen gestand ihnen deshalb eine halbe Stunde zu, in der sie erzählen konnten. Für viele war der Höhepunkt der Weihnachtstage das Schmücken des Baumes gewesen oder der Spaß, den sie bei den Weihnachtseinkäufen gehabt hatten oder das neue Fahrrad neben dem Gabentisch. Peter erzählte, er habe zum ersten Mal die Mitternachtsmette besuchen dürfen. Esther berichtete der Klasse, wie sie mit ihrer Familie Chanukkah, das jüdische Lichterfest, gefeiert hatte.
Als Sarah an der Reihe war, schwieg sie zuerst eine Weile und schien irgendwie an ihrem Stuhl festgeklebt zu sein. Schmerzlich wurde Helen bewusst, dass das Kind nichts zu sagen hatte. Nichts war geschehen, das ihr erzählenswert schien. So sanft wie möglich sagte sie: „Du brauchst nichts zu erzählen, Sarah. Es bleibt ganz dir überlassen.“
„Aber ich möchte es erzählen“, widersprach Sarah. „Es ist nur, ich weiß nicht, wie es sich nennt – diese Sache mit den Kerzen.“
„Das macht doch nichts“, meinte Peter. „Erzähle es uns trotzdem.“
Durch diese Worte ermutigt, rutschte Sarah von ihrem Stuhl und stellte sich vor die Klasse. „Nun, gestern Abend haben wir bei uns zu Hause Weihnachten gefeiert. Es ist etwas, das man mit Kerzen macht, aber mein Vater und ich hatten keine Kerzen, darum haben wir stattdessen Streichhölzer genommen. Jeder hat ein Streichholz angezündet und dann haben wir sie dicht aneinandergehalten, damit sich die Flammen vermischen konnten, und dann – dann waren wir Freunde fürs Leben.“
Stolz sah sie sich im Raum um und plötzlich lächelte sie strahlend. „Es war das schönste Weihnachtsfest, das ich je in meinem Leben erlebt
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