Eine Krone für Alexander (German Edition)
kümmern.“
Eurydika hatte nicht übertrieben, als sie Lynkestis als
rückständig bezeichnet hatte. Der ehemalige Königssitz dort war klein und
rustikal, eher ein zu groß geratenes Landgut als ein Palast. Alexander hasste
alles auf der Stelle, den sogenannten Palast, die armselige Siedlung zu seinen
Füßen, die den Namen Stadt kaum verdiente, und das ganze raue Bergland darum
herum. Der König war längst wieder in Korinth, doch Alexander hatte ihn wider
Erwarten nicht begleiten dürfen, sondern stattdessen den Auftrag erhalten, den
Feldzug gegen die Illyrer vorzubereiten.
„Sollte ich nicht lieber mit nach Korinth kommen?“, hatte er
eingewendet.
„Wozu?“, hatte Philipp geantwortet. „Der Friedensvertrag
bezieht ausdrücklich meine Nachkommen mit ein, also auch dich.“
„Aber was soll ich in Lynkestis? Den Feldzug sollte doch
Attalos vorbereiten.“
„Du kannst ihm dabei helfen. Schließlich war das Ganze deine
Idee – schon vergessen?“
In Korinth versammelten sich inzwischen wieder die Abgeordneten
der griechischen Staaten, um den Friedensvertragmit feierlichen Eiden bei allen
bekannten Göttern und Göttinnen zu beschwören. Gleich danach würde das
Synhedrion den lang erwarteten panhellenischen Rachezug gegen die Perser
proklamieren. Während in Korinth also Ereignisse von historischer Tragweite
anstanden, saß Alexander bei den Hinterwäldlern in Lynkestis fest. Zu allem
Überfluss hatte Philipp an seiner Stelle seinen Neffen Amyntas mit nach Korinth
genommen.
„Hör auf zu jammern“, hatte Philipp gesagt. „Wie ich schon
einmal sagte: Amyntas ist keine Konkurrenz für dich. Der Vertrag wird für mich
und meine Nachkommen gelten, und Amyntas ist keiner davon.“
Nein, hatte Alexander gedacht, aber vielleicht eines
Tages der Vater eines deiner Nachkommen.
Zu allem Unglück stellte sich heraus, dass er mit Attalos
nicht gut auskam. In fast allen Punkten waren sie unterschiedlicher Meinung,
und Attalos hatte eine unangenehme Art, Alexander wissen zu lassen, dass er ihn
für einen unerfahrenen Angeber hielt. Auch die Lynkesten gingen ihm auf die
Nerven. Mit seinem Namensvetter, Antipatros’ Schwiegersohn, war er immer gut ausgekommen,
doch der war nicht hier, und seine beiden Brüder konnte Alexander nicht
ausstehen. Arrhabaios redete ständig auf ihn ein, während Heromenes die meiste
Zeit stumm dabeisaß und ihn manchmal so feindselig anstarrte, dass es ihm kalt
den Rücken hinunterlief. Inzwischen war er von dem Illyrerfeldzug längst nicht
mehr so angetan, und das nicht nur, weil er deswegen in Lynkestis festsaß. Er
wurde das Gefühl nicht los, dass etwas damit nicht stimmte.
In Lynkestis gab es zwei weitere Personen, deren Gemütslage
ähnlich düster war wie seine eigene. Die eine war Pausanias, Philipps
Verflossener, der ebenfalls nach Lynkestis abgeschoben worden war. Schon
während des Kongresses hatte der König ihm nicht mehr viel Aufmerksamkeit gewidmet,
konzentrierte er seine Aktivitäten doch lieber auf die Hetären, für die Korinth
berühmt war. Wenn Pausanias gehofft hatte, Philipps Gunst zurückerobern zu
können, dann konnte er diese Hoffnung nun wohl begraben. An seiner Stelle hatte
sein Nebenbuhler und Namensvetter den König nach Korinth begleitet (obwohl
Alexander Zweifel hatte, ob der Junge dort viel Grund zur Freude haben würde).
Die andere missgestimmte Person war der Schauspieler Thessalos.
Ein Kollege von ihm, der hochberühmte Neoptolemos, war von Philipp engagiert
worden, um während des Kongresses im Theater von Korinth Euripides’ Iphigenie in Aulis aufzuführen. Die Tragödie sollte das
Synhedrion auf den Krieg gegen die Perser einstimmen, denn sie handelte vom
Aufbruch des griechischen Heeres in den Trojanischen Krieg.
„Ausgerechnet Neoptolemos!“, ereiferte sich Thessalos. „Dieser
Schmierendarsteller! Der seine Gestik so überzeichnet, als halte er die Zuschauer
für begriffsstutzig!“
Schließlich ließ er sich einigermaßen dadurch besänftigen,
dass er abends beim Symposion die interessantesten Stellen aus der Iphigenie vortragen durfte. Alexander und seine Freunde
lagen auf ihren Klinen in der rustikalen Halle des Palasts und verfolgten die
Darbietung: Die Griechen hatten sich in Aulis versammelt, um von dort nach
Troja aufzubrechen. Doch der dafür nötige Wind blieb aus, weil ihr
Oberbefehlshaber Agamemnon Artemis beleidigt hatte. Ein Menschenopfer sollte
die Göttin nun gnädig stimmen: Agamemnons Tochter Iphigenie.
„Wie war
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