Eine Krone für Alexander (German Edition)
glaubte ihm nicht. „Es
kommt auch nicht eben oft vor. Eine Kollegin von mir, eine Korintherin namens
Neaira, hat es aber geschafft. Einer ihrer Stammkunden, ein Athener übrigens,
heiratete sie, und gab sogar Neairas Kinder als seine eigenen aus. So gelang es
ihr, ihre Tochter mit einem angesehenen Bürger zu verheiraten. Doch dann flog
die Sache auf, und es gab einen furchtbaren Skandal.“
„Das kann ich mir vorstellen. Soweit ich weiß, sind die Athener
ziemlich pingelig mit ihrem Bürgerrecht. Wahrscheinlich hat es sie nicht einmal
so sehr gestört, dass Neaira eine ehemalige Hetäre war, sondern dass sie keine
Athenerin war.“
„Vermutlich.“ Kallixeina gähnte wieder. „Ich weiß gar nicht,
warum ich dir das alles erzähle. Meine Kunden interessieren sich normalerweise
nicht für das Wohl und Wehe von Hetären.“
12
Die Reiter kamen in lockerer Formation den Hügel herab. Sie
ritten durch das Tor des ländlichen Anwesens in den Hof, stiegen von den
Pferden und gingen auf die Säulenhalle vor dem Hauptgebäude zu, wo sich bereits
die Frauen des Haushalts versammelt hatten, um die Gäste zu begrüßen.
Attalos war mittlerweile einer von Philipps wichtigsten Offizieren.
Seine Familie stammte aus altem makedonischem Adel, sie besaß ausgedehnte
Ländereien in den Ausläufern des Dysoron-Gebirges, durch das Auerochsen und
Luchse streiften und wo es in früheren Zeiten angeblich sogar Löwen gegeben
hatte. Dorthin hatte Attalos den König und sein Gefolge zu einem Jagdausflug
eingeladen. Die Verhandlungen in Korinth waren abgeschlossen, und die
Delegierten waren abgereist, um das Ergebnis ihren jeweiligen Regierungen zur
Ratifizierung vorzulegen. Danach würde man sich in Korinth wieder zur
feierlichen Besiegelung des Friedensvertrages treffen. Auch der König war vorübergehend
nach Makedonien zurückgekehrt. Gern nutzte er die Gelegenheit, auf angenehme
Weise die Zeit zu überbrücken.
Eine schlanke Gestalt löste sich aus der Mitte der wartenden
Frauen und trat nach vorn. „Meine Nichte Kleopatra“, stellte Attalos sie vor.
„Meine Frau ist letztes Jahr gestorben, deshalb übernimmt Kleopatra heute trotz
ihrer Jugend die Pflichten der Gastgeberin.“
Attalos’ Nichte trug einen weißen Chiton und einen leuchtend
gelben Schleier, der sich in der lauen Frühlingsbrise bauschte. Mit heller,
fast kindlicher Stimme hieß sie die Gäste im Haus ihres Onkels willkommen und
sprach das obligatorische Gebet an die Götter, ehe sie Wein aus einer Silberschale
auf den Boden rinnen ließ. Als sie auf den König zutrat und zu ihm aufsah,
wehte ihr Schleier nach hinten. Kleopatra war in der Tat sehr jung, vielleicht
fünfzehn oder sechzehn Jahre, und lächelte schüchtern, als sie ihm die Schale
reichte.
„Was für ein hübsches Kind“, sagte Philipp lächelnd zu Attalos.
„Du bist vom Glück gesegnet. Sie ist wie eine Frühlingsblüte, auf der der Tau
liegt.“
„Ja, die Götter haben mich gesegnet“, erwiderte Attalos
stolz. „Kleopatra ist die Tochter meines verstorbenen Bruders Amyntas und lebt
seit seinem Tod in meinem Haus, wie auch ihr Bruder Hippostratos. Du kennst ihn
sicher noch aus seiner Zeit bei den Königsjungen.“
Attalos schob einen unscheinbaren jungen Mann nach vorn, dem
Philipp einen wohlwollenden, aber eher oberflächlichen Blick zuwarf, ehe er
seine Aufmerksamkeit wieder seiner Schwester widmete. „Natürlich“, sagte er und
trank, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Attalos’ Nichte trat auf Alexander zu. Eine Dienerin reichte
ihr eine zweite Schale, und als Kleopatra sie an ihn weitergab, konnte er
sehen, dass die ungewohnt poetische Ausdrucksweise des Königs ihre Berechtigung
hatte. Das Mädchen hatte hellblondes Haar und kornblumenblaue Augen, und auf
den Wangen ihres ovalen Gesichts lag eine leichte Röte. Alexander nahm die Schale
entgegen und trank, und als Kleopatra von Gast zu Gast ging, bemerkte er, wie
Philipps Augen ihr folgten.
Im Morgengrauen machte sich die Jagdgesellschaft auf in die
Berge. Von den Hügeln schallten ihnen das Gebell der Hunde und das Geschrei der
Treiber entgegen. Attalos’ Ländereien erwiesen sich als ergiebiges Jagdrevier,
und Alexander war mit seiner Ausbeute mehr als zufrieden, als er am späten
Nachmittag wieder das Hauptlager erreichte. Auch der König war bereits zurück.
Im Kreise seiner Hetairen saß er auf einem Klappstuhl und hielt Hof. Als er
Alexander an der Spitze seiner Freunde ins Lager reiten sah, winkte er ihn
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