Eine Krone für Alexander (German Edition)
Schleier
über den Kopf und wandte sich zur Tür. „Das Orakel wird dir bestätigen, was ich
weiß seit der Nacht, in der ich dich empfangen habe: Es ist deine Bestimmung, König
zu sein! Ein größerer König als Philipp! Unendlich viel größer! Der größte, den
es je gegeben hat und jemals geben wird!“
„Nach Illyrien?“
Der König der Molosser sah seinen Neffen verblüfft von der
Seite an.
„Wieso ausgerechnet Illyrien? Ich halte es nach wie vor für
das Beste, wenn du so schnell wie möglich nach Pella zurückkehrst, aber
selbstverständlich kannst du auch gern in Dodona bleiben. Du bist hier immer
willkommen.“
In gemächlichem Tempo ritten sie Seite an Seite vom Palast
zum Heiligtum des Zeus und seiner Gemahlin Dione, eskortiert von der Leibgarde
des Königs und von Alexanders Freunden, die ihn nach Dodona begleitet hatten.
Wegen des Sturzregens in der Nacht wirbelten die vielen Reiter wenigstens keine
Staubwolken auf.
„Wenn du willst, schreibe ich einen Brief an deinen Vater.
Vielleicht kann ich zwischen euch vermitteln.“
„Danke für dein Angebot, aber ich gehe nach Illyrien. Dann
werden wir sehen, ob Philipp sich nach Asien wagt, wenn seine Grenzen in Europa
nicht sicher sind.“
Sein Onkel sah ihn erschrocken an. „Du hast vor, mit den Illyrern
in Makedonien einzufallen?“
„Natürlich nicht!“, erwiderte Alexander entrüstet. „Ich bin
kein Verräter. Aber das kann Philipp ja nicht wissen.“
„Und du glaubst, das funktioniert?“
Alexander zuckte die Achseln. „Wir werden sehen.“
„Dann solltest du dich beeilen. Es sieht so aus, als ob es
in diesem Jahr früh Winter wird. Was ist mit diesem Pleurias? Kannst du ihm
trauen?“
„Ich halte ihn für einen Ehrenmann.“
Der Molosserkönig blickte skeptisch auf den Hals seines
Pferdes. „Meiner Erfahrung nach ist kein Illyrer ein Ehrenmann. Das sind üble
Halunken, primitiv und unzivilisiert. Sie leben nur vom Rauben und Plündern und
hintergehen sich gegenseitig, sogar unter Freunden und Verwandten. Sie kennen
kein Recht und keinen Anstand, so wie wir Griechen.“
Hieß das nun, dass die Illyrer anders als die Griechen weder
Recht noch Anstand kannten? Oder dass sie beides ebenso wenig kannten wie sie? Richtig
wäre wohl Letzteres, dachte Alexander zynisch. „Bisher hat Pleurias immer
gehalten, was er versprochen hat.“
„Dann wollen wir hoffen, dass du dich nicht in ihm täuschst.
Auf jeden Fall gebe ich dir eine starke Eskorte mit.“
„Nicht nötig. Ich gehe allein, nur mit Hephaistion.“
„Nimmst du nicht wenigstens deine Freunde mit?“
„Nein. Wenn sie mir nach Illyrien folgen, könnte man ihnen
das als Verrat auslegen. Immerhin sind die Illyrer unsere Feinde.“
„Eben. Und du willst dich ganz allein in ihre Wildnis wagen!
Warum bleibst du nicht hier? Epeiros ist längst nicht so abgelegen, wie du
vielleicht denkst. Im Westen, auf der anderen Seite des Meeres, in Italien und
Sizilien, gibt es griechische Kolonien, ebenso zahlreich und florierend wie die
in Asien. Wenn du mich fragst, liegt die Zukunft ohnehin im Westen.“
Hellhörig geworden, sah Alexander seinen Onkel von der Seite
an. „Hast du konkrete Pläne?“
„Könnte sein“, orakelte der Molosser. „Die Griechen drüben
im Westen werden von den Karthagern und einheimischen Barbarenstämmen bedrängt.
Wer über Mut und Entschlossenheit verfügt, kann die Städte im Kampf gegen ihre
Feinde vereinen und ein mächtiges Bündnis schmieden, so wie es schon der ältere
Dionysios getan hat. Wenn dein Trick mit den Illyrern nicht klappen sollte,
dann geh mit mir nach Italien. Dort gibt es mehr als genug zu tun.“
Die Reiter hatte den heiligen Bezirk erreicht und machten
vor der Umfriedung halt. Sie stiegen von ihren Pferden. Die Orakelstätte von
Dodona war nicht so üppig mit Weihegaben bestückt wie Delphi, gab der König der
Molosser zu, aber sie war ebenso altehrwürdig. Sogar noch ehrwürdiger, denn sie
war das älteste Orakel auf griechischem Boden.
„Wusstest du, dass es in der Ilias eine Stelle gibt, in der
unser Vorfahr Achilleus den Zeus von Dodona anruft?“
„Natürlich“, beteuerte Alexander „das ist, als er Patroklos
mit seinen eigenen Waffen in den Kampf ziehen lässt, damit er die Griechen vor
dem Ansturm der Trojaner rettet.“
„Ach ja“, grinste sein Onkel, „ich hatte vergessen, dass du
das Buch praktisch auswendig kannst.“
Im hinteren Teil der Umfriedung stand der Tempel. Er war
klein und schlicht, nicht
Weitere Kostenlose Bücher