Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
werden. Im schottischen Bute zum Beispiel besaß gerade mal ein Einwohner von vierzehntausend das Wahlrecht und konnte sich auch selbst wählen. In pocket boroughs wiederum wohnte überhaupt niemand, aber sie waren mit einem Sitz im Parlament »vertreten«, den derjenige, der darüber verfügte, verkaufen oder auch mal einem »schwer vermittelbaren« Sohn vermachen konnte. Der berühmteste pocket borough war Dunwich, einstmals eine Küstenstadt in Suffolk mit einem großen Hafen, dem drittgrößten in England, der zusammen mit der Stadt 1286 in einem Sturm ins Meer gespült worden war. Trotz seines unübersehbaren Nichtvorhandenseins wurde dieser borough bis 1832 von einer Reihe privilegierter Nullen im Parlament repräsentiert.
unvereinbar mit dem Bestehen einer Zivilisation«, wie es der Historiker und Parlamentsabgeordnete Thomas Babington Macaulay ausdrückte.
1848 spitzte sich die Situation in London zu. Die Chartisten kündigten eine Massenkundgebung auf dem Kennington Common, südlich der Themse, an. Man befürchtete, die wutschnaubende Menge würde sich in eine solche Entrüstung hineinsteigern, dass sie über die Westminster Bridge rasen und das Parlament stürmen würde. Rasch wurden in der ganzen Stadt Regierungsgebäude gesichert. Im Foreign Office verbarrikadierte Lord Palmerston, seines Zeichens Außenminister, die Fenster mit gebundenen Bänden der Times. Auf dem Dach des Britischen Museums wurden Männer mit einem Vorrat an Backsteinen postiert, die sie auf die Köpfe all derer herniederprasseln lassen sollten, die das Gebäude zu erobern versuchten. Vor der Bank von England wurden Kanonen aufgestellt und die Staatsdiener in mehreren Behörden sogar mit Schwertern und uralten, vielleicht nicht durchweg topgepflegten Musketen ausgerüstet, die für ihre Benutzer genauso eine Gefahr darstellten wie für diejenigen, die ihnen mutig entgegentraten. Einhundertsiebzigtausend Sonderschutzmänner — hauptsächlich reiche Herren und ihre Diener standen in Alarmbereitschaft; das Kommando hatte der tattrige Herzog von Wellington, der zweiundachtzig Jahre alt und taub für alles war, was nicht extrem laut und beherzt daherkam.
Schließlich aber zerstreute sich die Versammlung friedlich, und das nicht nur, weil sich der Führer der Chartisten, Feargus O'Connor, auf einmal sehr bizarr verhielt (eine syphilitische Demenz war noch nicht diagnostiziert und führte erst im Jahr darauf zu seiner Einweisung in eine Anstalt). Die Versammelten waren vielmehr im Grunde ihres Herzens keine wilden Revolutionäre, und ein großes Blutvergießen wollten sie weder anzetteln noch ihm zum Opfer fallen. Außerdem sorgte ein rechtzeitiger Platzregen dafür, dass die Option »Rückzug in den Pub« weitaus reizvoller erschien als »Sturm auf das Parlament«. The Times befand, dass der »Londoner Pöbel weder heroisch noch poetisch, patriotisch, aufgeklärt oder sauber sei, dafür aber ein gutmütiger Haufen«. Und so herablassend dieses Urteil auch klang — es war nicht ganz von der Hand zu weisen.
Obwohl also erst einmal Entwarnung angesagt war, hielt die Erregung auch 1851 in einigen Lagern noch unvermindert an. Henry Mayhew bemerkte in seinem im selben Jahr veröffentlichten, viel beachteten Die Armen von London, dass die werktätige Bevölkerung »bis auf den letzten Mann« sehr wohl aus »hitzköpfigen Proletariern mit umstürzlerischen Gedanken« bestehe.
Doch allem Anschein nach liebten selbst die hitzköpfigen Proletarier die Weltausstellung. Ohne Zwischenfälle eröffnete sie am ersten Mai 1851, »ein wunderschönes, beeindruckendes und berührendes Spektakel«, bemerkte eine strahlende Königin Victoria, die den Eröffnungstag (offenbar aus tiefster Überzeugung) als »größten Tag in unserer Geschichte« bezeichnete. Die Menschen kamen aus allen Ecken und Enden des Landes. Eine fünfundachtzigjährige Frau namens Mary Callinack wurde berühmt, weil sie die mehr als vierhundert Kilometer aus Cornwall herbeigewandert war. Während der fünfeinhalb Monate, die die Ausstellung dauerte, kamen sechs Millionen Besucher; der Tag mit den meisten war der siebte Oktober: Fast 110 000 wurden eingelassen. Einmal waren gleichzeitig 92 000 Menschen im Palast — die größte Anzahl Menschen, die sich je im Inneren eines einzelnen Gebäudes aufgehalten hatte.
Nicht alle Besucher waren entzückt. William Morris, Designer und Ästhet in spe, damals siebzehn, war so entsetzt von dem, was er als Mangel an Geschmack und Kult um
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