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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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waren sehr geräumig und hatten verschließbare Türen, ein Abwassersystem und anscheinend sogar elementare sanitäre Anlagen wie zum Beispiel Schlitze in den Wänden, um Abfälle und Exkremente hinauszubefördern. Die noch stehenden Wände sind bis zu drei Meter hoch, es gab also genügend Kopffreiheit, und die Böden sind mit Steinen ausgelegt. Jedes Haus hat außerdem eingebaute Kommoden aus Stein, Nischen für Vorräte, kistenartige Teile, wahrscheinlich Betten, außerdem Wasserspeicher und Isolierschichten, die das Innere bestimmt gemütlich und trocken gehalten haben. Da die Häuser alle gleich groß und nach dem gleichen Plan gebaut sind, liegt die Vermutung nahe, dass hier eine Gemeinschaft lebte, die keine hierarchische Gliederung kannte. Zwischen den Häusern verliefen überdachte Gänge und führten zu einem Bereich, dessen Boden ebenfalls mit Steinen ausgelegt und der für Zusammenkünfte gedacht war — die ersten Archäologen nannten ihn den »Marktplatz«.
    Schlecht scheint das Leben der Bewohner Skara Braes nicht gewesen zu sein. Sie hatten Schmuck und Töpferwaren, bauten Weizen und Gerste an und konnten sich reichlich Schalentiere und Fische aus dem Meer holen, darunter bis zu siebzig Pfund schwere Kabeljaue. Sie hielten Rinder, Schafe, Schweine und Hunde. Das Einzige, was sie nicht hatten, war Holz. Zum Heizen verbrannten sie Seetang, der sehr schwer brennt, doch was für sie ein Problem war, ist für uns gut. Hätten sie ihre Häuser aus Holz gebaut, wäre nichts davon übrig geblieben, und wir hätten uns Skara Brae nicht einmal vorstellen können.
    Man kann die Einzigartigkeit und Bedeutung von Skara Brae gar nicht genug betonen. Das prähistorische Europa war ein weitgehend leerer Kontinent. Auf den Britischen Inseln lebten vor fünfzehntausend Jahren vielleicht nicht einmal mickrige zweitausend Menschen. Bis in die Zeiten von Skara Brae stieg die Zahl unter Umständen bis auf zwanzigtausend, doch damit kam immer noch nicht mehr als ein Mensch auf siebeneinhalb Quadratkilometer. Was erklärt, weshalb es heutzutage recht aufregend ist, auf ein Lebenszeichen aus der Steinzeit zu stoßen. (Damals wäre es natürlich nicht minder aufregend gewesen.)
    In Skara Brae gab es auch allerlei Merkwürdigkeiten. Ein Gebäude steht zum Beispiel ein wenig abseits von den anderen und ist von außen verriegelt, was eigentlich nichts anderes bedeuten kann, als dass jeder darin Befindliche eingesperrt war. Was wiederum den Eindruck trübt, dass hier alles Friede, Freude, Eierkuchen war. Warum man meinte, in einer solch kleinen Gemeinschaft jemanden in Haft halten zu müssen, kann man natürlich nach so langer Zeit nicht mehr sagen. Mysteriös sind auch die wasserdichten Vorratsbehältnisse, die man in allen Behausungen fand. Allgemein glaubt man, dass Napfschnecken darin gehalten wurden, Weichtiere mit hartschaligem »Napf«, die es in der Umgebung von Skara Brae massenhaft gibt. Warum aber jemand stets frische Napfschnecken vorrätig halten will, bleibt, selbst wenn man wild herumspekuliert, ein Rätsel, denn Napfschnecken sind zum Essen grauenhaft, sie enthalten nur eine Kalorie pro Tierchen und sind so gummiartig, dass man sie beim Kauen gar nicht richtig klein kriegt. Ja, man verbraucht mehr Energie zum Kauen, als man von ihnen bekommt.
    Wir wissen absolut nichts über die Menschen von Skara Brae — woher sie kamen, welche Sprache sie sprachen, was sie dazu brachte, sich an einem so einsamen Außenposten am baumlosen Rand Europas niederzulassen —, doch allem Anschein nach existierte das Dorf ununterbrochen sechshundert gemütlich ruhige Jahre. Dann, um etwa 2500 v. Chr., verschwanden die Bewohner eines Tages, offenbar Hals über Kopf. Im Gang vor einem Haus fand man Schmuckperlen verstreut, die sicher für die Besitzerin oder den Besitzer wertvoll waren. Offenbar war eine Kette zerrissen und der Träger oder die Trägerin zu sehr in Panik oder Bedrängnis, um sie aufzulesen. Warum die glückliche Idylle Skara Braes ein derart jähes Ende fand, bleibt genauso im Dunkel wie vieles andere auch.
    Nach der Entdeckung des Dorfs verging erstaunlicherweise mehr als ein Dreivierteljahrhundert, bevor es sich überhaupt mal jemand ordentlich anschaute. Nur der Entdecker William Watt aus dem in der Nähe gelegen Skaill House hatte ein paar Gegenstände gerettet, und an einem Wochenende im Jahr 1913 machte sich dann eine mit Spaten und anderen Werkzeugen bewaffnete Partygesellschaft aus Skaill House auf, plünderte

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