Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Fähigkeiten nötig, zum Beispiel der Gebrauch von Werkzeugen. Doch diese hätten kaum Auswirkungen, wenn wir nicht gleichzeitig in der Lage wären, in großen Gruppen zusammenzuarbeiten. Wie kommt es, dass wir heute mit Atomraketen hantieren, während wir vor 30000 Jahren noch mit Speeren auf die Jagd gingen? Aus biologischer Sicht hat sich unsere Fähigkeit zur Herstellung von Werkzeugen in den vergangenen 30000 Jahren kaum verändert. Albert Einstein war handwerklich sehr viel ungeschickter als die Jäger und Sammler der Steinzeit. Was sich dagegen ganz dramatisch verbesserte, war unsere Fähigkeit, mit großen Gruppen von wildfremden Menschen zusammenzuarbeiten. Die Steinspitze eines Speers ließ sich in relativ kurzer Zeit von einem Einzelnen behauen, dazu waren höchstens Rat und Unterstützung einiger enger Freunde nötig. An der Herstellung eines modernen Atomsprengkopfs sind dagegen Millionen von Menschen in aller Welt beteiligt, die einander nicht kennen: von den Kumpeln, die das Uranerz aus der Erde holen, bis zu den Physikern, die mit langen mathematischen Formeln die Reaktionen subatomarer Teilchen beschreiben.
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Die Beziehung zwischen Biologie und Geschichte nach der kognitiven Revolution lässt sich so zusammenfassen:
a. Die Biologie gibt den Rahmen für das Verhalten und die Fähigkeiten des Homo sapiens vor. Die gesamte menschliche Geschichte findet auf diesem von der Biologie definierten Spielfeld statt.
b. Doch das Spielfeld des Sapiens ist erstaunlich groß und lässt eine verblüffende Vielfalt von Spielen zu. Mit Hilfe der fiktiven Sprache erfinden Sapiens immer mehr und immer komplexere Spiele, die von jeder neuen Generation weitergesponnen und ausgebaut werden.
c. Um das Verhalten der Sapiens zu verstehen, müssen wir uns daher die geschichtliche Entwicklung unserer Handlungen ansehen. Wenn wir bei den biologischen Grenzen stehen bleiben würden, dann wäre das ungefähr so, als würde ein Fußballreporter seinen Zuhörern nur den Rasen beschreiben und kein Wort über die Partie verlieren.
Aber welche Spiele spielten unsere steinzeitlichen Vorfahren? Nach allem, was wir heute wissen, brachten die Menschen, die vor 30000 Jahren den Löwenmenschen der Stadel-Höhle schnitzten, dieselben körperlichen, geistigen und emotionalen Fähigkeiten mit wie wir. Was taten sie, wenn sie morgens aufwachten? Was aßen sie zum Frühstück und zum Mittagessen? Wie sahen ihre Gesellschaften aus? Lebten sie in monogamen Beziehungen und Kleinfamilien? Kannten sie Feste, Moral, Sport und Rituale? Führten sie Kriege? Im nächsten Kapitel werfen wir einen Blick hinter die Kulissen der Geschichte und sehen uns an, wie das Leben in der Steinzeit aussah.
3 Robin Dunbar, Klatsch und Tratsch: Wie der Mensch zur Sprache fand (München: Bertelsmann, 1998).
4 Michael L. Wilson und Richard W. Wrangham, »Intergroup Relations in Chimpanzees«, Annual Review of Anthropology 32 (2003), S. 363–392; M. McFarland Symington, »Fission-Fusion Social Organization in Ateles and Pan «, International Journal of Primatology , 11:1 (1990), S. 49; Colin A. Chapman und Lauren J. Chapman, »Determinants of Groups Size in Primates: The Importance of Travel Costs«, in On the Move: How and Why Animals Travel in Groups , hrg. v. Sue Boinsky und Paul A. Garber (Chicago: University of Chicago Press, 2000), S. 26.
5 Dunbar, Klatsch und Tratsch ; Leslie C. Aiello und R. I. M. Dunbar, »Neocortex Size, Group Size, and the Evolution of Language«, Current Anthropology 34:2 (1993), S. 189. Eine Kritik dieses Ansatzes finden Sie in Christopher McCarthy u. a., »Comparing Two Methods for Estimating Network Size«, Human Organization 60:1 (2001), S. 32; R. A. Hill und R. I. M. Dunbar, »Social Network Size in Humans«, Human Nature 14:1 (2003), S. 65.
6 Yvette Taborin, »Shells of the French Aurignacian and Perigordian«, in Before Lascaux: The Complete Record of the Early Upper Paleolithic , hrg. v. Heidi Knecht, Anne Pike-Tay und Randall White (Boca Raton: CRC Press, 1993), S. 211–28.
7 G.R. Summerhayes, »Application of PIXE-PIGME to Archaeological Analysis of Changing Patterns of Obsidian Use in West New Britain, Papua New Guinea«, in Archaeological Obsidian Studies: Method and Theory , hrg. v. Steven M. Shackley (New York: Plenum Press, 1998), S. 129–58.
Kapitel 3 Ein Tag im Leben von Adam und Eva
Um unsere Natur, Psyche und Geschichte zu verstehen, müssen wir einen Blick in den Kopf der Jäger und Sammler der Steinzeit
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