Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
30000 Soldaten zur Verfügung. Scipio hatte Respekt vor dem Kampfgeist und dem kriegerischen Geschick der Numantier und verspürte wenig Lust, seine Soldaten in unnötigen Schlachten zu opfern. Also errichtete er einen Festungsgürtel um Numantia, schnitt den Ort von der Außenwelt ab und wartete, dass der Hunger ihm die Arbeit abnahm. Nach mehr als einem Jahr gingen den Eingekesselten die Lebensmittel aus. Als die Numantier erkannten, dass jede Hoffnung verloren war, brannten sie ihren Ort nieder. Der Überlieferung zufolge begingen die meisten von ihnen Selbstmord, um nicht den Römern in die Hände zu fallen und in die Sklaverei verkauft zu werden.
Später wurde Numantia ein Symbol für die spanische Freiheitsliebe. Miguel de Cervantes, Autor des Don Quijote , schrieb eine Tragödie mit dem Titel Numantia , die mit der Zerstörung des Ortes und einer Vision von der künftigen Größe Spaniens endet. Dichter und Maler feierten den Widerstand der Numantier in Versen und Farben. Im Jahr 1882 wurden die Überreste zum »Nationaldenkmal« erklärt und zum Pilgerort für spanische Patrioten. Die beliebteste spanische Comicserie der 1950er und 1960er Jahren schilderte die Abenteuer von El Jabato, einem fiktiven iberischen Helden, der gegen die bösen Römer kämpfte. Die alten Numantier verkörperten Heldentum und Vaterlandsliebe und wurden als Vorbild für ihre Nachfahren, die modernen Spanier, bejubelt.
Doch die spanischen Patrioten feierten die Numantier auf Spanisch, einer romanischen Sprache und Abkömmling der lateinischen Sprache General Scipios – die Numantier sprachen einen längst vergessenen kelto-iberischen Dialekt. Cervantes schrieb seine Tragödie in lateinischer Schrift, und sein Theaterstück folgt griechischen und römischen Vorbildern – die Numantier kannten keine Theater. Die Spanier, die den Heldenmut der Numantier bewundern, sind überwiegend fromme Angehörige der römisch-katholischen Kirche, deren Oberhaupt bis heute in Rom sitzt und deren Gott sich bis heute gern in lateinischer Sprache anbeten lässt. Das moderne spanische Recht basiert auf dem antiken Römischen Recht, die spanische Politik steht auf römischen Schultern und die spanische Küche und Architektur schuldet den Römern mehr als den Kelten. Von Numantia ist nichts übrig als ein paar Ruinen. Selbst seine Geschichte kennen wir nur, weil römische Historiker sie niedergeschrieben haben. Sie war ganz nach dem Geschmack des römischen Publikums, das Geschichten von freiheitsliebenden Barbaren liebte. Die Römer ließen nichts von den Numantiern übrig, die Sieger übernahmen sogar noch die Erinnerung an die Besiegten.
Das ist keine nette Geschichte. Wir hören lieber Erzählungen vom tapferen kleinen David, der sich dem bösen Goliath erfolgreich widersetzt, und wenn David schon nicht auf dem Schlachtfeld siegt, dann zumindest auf dem Gebiet der Kultur. Aber die Geschichte ist nicht gerecht. Die meisten Kulturen der Vergangenheit wurden früher oder später von dem einen oder anderen Imperium geschluckt und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Auch Imperien gehen irgendwann unter, doch sie hinterlassen ein reiches und langlebiges Erbe. Die meisten Völker des 21. Jahrhunderts sind Nachfahren des einen oder anderen Weltreichs.
Was ist ein Imperium?
Ein Imperium ist eine politische Ordnung mit zwei entscheidenden Eigenschaften. Um als Imperium zu gelten, muss es über eine ausreichende Zahl von verschiedenen Völkern herrschen, von denen jedes seine eigene kulturelle Identität und sein eigenes Territorium hat. Wie viele Völker müssen es genau sein? Zwei oder drei reichen jedenfalls noch nicht aus. Zwanzig oder dreißig sind genug. Die Grenze zum Imperium liegt irgendwo dazwischen.
Zweitens zeichnen sich Imperien durch flexible Grenzen und einen potenziell grenzenlosen Appetit aus. Sie können sich immer mehr Völker und Gebiete einverleiben, ohne ihre Struktur oder Identität zu verlieren. Das heutige Großbritannien hat klar definierte Grenzen, die es nicht überschreiten kann, ohne dass der Staat seine Struktur oder Identität völlig verändern würde. Aber vor einem Jahrhundert hätte fast jeder Ort auf der Erde Teil des Britischen Weltreichs werden können.
Kulturelle Vielfalt und ein flexibles Herrschaftsgebiet verleihen Imperien nicht nur ihren einmaligen Charakter, sondern auch ihren zentralen Platz in der Geschichte. Dank dieser beiden Eigenschaften gelang es ihnen, eine große Vielfalt von Ethnien und Regionen unter
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