Eine kurze Geschichte von fast allem
die Achseln. »Als er das letzte Mal gespuckt hat, war noch niemand dabei, und deshalb weiß auch niemand, wie die Warnzeichen aussehen. Vermutlich gäbe es viele Erdbeben, die Oberfläche würde sich ein wenig heben, und möglicherweise würde sich auch das Verhalten von Geysiren und Dampfschloten verändern, aber das sind nur Vermutungen.«
»Er könnte also auch ohne Vorwarnung ausbrechen?«
Doss nickt nachdenklich. Wie er mir erklärt, besteht das Hauptproblem darin, dass alle Phänomene, die Warnzeichen darstellen könnten, im Yellowstone-Gebiet bereits in einem gewissen Umfang vorhanden sind. »Erdbeben sind in der Regel die Vorboten eines Vulkanausbruchs, aber es gibt in dem Park auch jetzt schon eine Menge Erdbeben – allein im letzten Jahr waren es 1260. Die meisten sind so klein, dass man sie nicht spürt, aber Erdbeben sind es dennoch.«
Weiter erklärt er mir, dass auch eine Veränderung im Zeitplan der Geysirausbrüche ein Hinweis sein könnte, aber der ist ohnehin unberechenbaren Schwankungen unterworfen. Früher war der Excelsior Geyser die berühmteste Heißwasserfontäne des Parks. Er brach regelmäßig aus und erreichte spektakuläre Höhen von fast 100 Metern, aber im Jahr 1888 stellte er seine Aktivität einfach ein. 1985 brach er dann erneut aus, allerdings nur mit einer Höhe von 25 Metern. Wenn der Steamboat Geyser ausbricht, ist er der größte Geysir in der Welt – sein Wasser schießt 130 Meter hoch in die Luft –, aber die Abstände zwischen den Ausbrüchen schwanken zwischen vier Tagen und fast 50 Jahren. »Wenn er heute aktiv wird und dann nächste Woche wieder, besagt das überhaupt nichts über sein Verhalten in der übernächsten Woche oder in der danach oder in 20 Jahren«, sagt Doss. »Alles in dem Park ist so launisch, dass man aus den Vorgängen fast nie irgendwelche Schlüsse ziehen kann.«
Ohnehin wäre es nicht einfach, den Yellowstone-Park zu evakuieren. Er ist jedes Jahr das Ziel von rund drei Millionen Besuchern, und die meisten kommen in den drei Monaten der sommerlichen Hochsaison. Es gibt in dem Park verhältnismäßig wenig Straßen, und die sind absichtlich eng gebaut, einerseits damit der Verkehr langsam fließt, andererseits aber auch damit das Landschaftsbild erhalten bleibt und teilweise außerdem wegen geländebedingter Notwendigkeiten. Im Hochsommer braucht man häufig einen halben Tag, um den Park zu durchqueren, und es dauert Stunden, bis man in dem Gelände irgendein Ziel erreicht hat. »Wenn die Leute ein Tier sehen, halten sie einfach an, ganz egal, wo«, erklärt Doss. »Wir haben einen Bär-Stau. Wir haben einen Bison-Stau. Wir haben einen Wolf-Stau.«
Im Herbst 2000 setzten sich Vertreter des U. S. Geological Survey und der Nationalparkverwaltung mit einigen Wissenschaftlern zusammen und gründeten eine Institution namens Yellowstone Volcanic Observatory. Vier solche Körperschaften gab es bereits – in Hawaii, Kalifornien, Alaska und Washington –, aber seltsamerweise existierte keine in dem größten Vulkangebiet der Welt. Das YVO ist eigentlich nichts Greifbares, sondern eher eine Idee – die Übereinkunft, bei der Untersuchung und Analyse der vielfältigen geologischen Verhältnisse in dem Park zusammenzuarbeiten. Wie Doss mir erzählt, bestand eine ihrer ersten Aufgaben darin, einen »Erdbeben- und Vulkan-Notfallplan« auszuarbeiten – einen Plan, wie man im Fall einer Krise vorgehen will.
»Gibt es den nicht schon?«, will ich wissen.
»Nein. Ich fürchte nicht. Aber bald haben wir ihn.«
»Ist das nicht ein bisschen spät?«
Er lächelt. »Na ja, sagen wir mal, es ist bestimmt nicht zu früh.«
Wenn er fertig ist, sollen drei Fachleute – Christiansen im kalifornischen Menlo Park, Professor Robert B. Smith an der University of Utah und Doss im Park selbst – die Katastrophengefahr beurteilen und die Parkverwaltung beraten. Der Parkleiter würde dann entscheiden, ob das Gebiet evakuiert wird. Für die umgebenden Regionen gibt es keine Pläne. Bei einem wirklich großen Ausbruch wäre jeder, der die Tore des Parks hinter sich gelassen hat, auf sich selbst gestellt.
Bis es so weit ist, können natürlich ohne weiteres noch Zehntausende von Jahren vergehen. Nach Doss’ Ansicht muss ein solches Ereignis sogar überhaupt nicht eintreten. »Nur weil es früher eine Gesetzmäßigkeit gegeben hat, bedeutet das nicht, dass sie auch für die Zukunft gilt«, sagt er. »Manche Befunde legen die Vermutung nahe, dass zu dieser Gesetzmäßigkeit
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